Jade-Augen
ohnehin unabwendbaren Rückzug hinauszögern.«
»Wie, zum Teufel, glaubt er, daß wir hier rauskommen … Zivilisten, Frauen, Kinder, Babys sollen siebzig Meilen unter ständigem Beschuß nach Jalalabad zurücklegen?« rief Mackenzie angewidert. »Ein Passierschein von Akbar Khan und den anderen Sirdars ist unser einziger Ausweg aus dieser Hölle.«
»Schlag das mal Macnaghten vor«, sagte Kit müde. »Er ist noch immer davon überzeugt, daß sein Plan, Zwietracht zwischen den Anführern zu säen, aufgehen wird und daß alles wieder ins reine kommt, wenn wir nur den Winter über in der Balla Hissar durchhalten.«
»Hauptmann Ralston?«
»Ja, Leutnant.« Kit erwiderte unverzüglich den Salut des Neuhinzugekommenen.
»Es ist ein afghanischer Verband gesichtet worden, Sir, der von Kabul aus auf dem Weg nach Behmaroo ist.«
Colin stimmte in Kits knappen Fluch ein, als sich beide über die Bedeutung dieser neuen Katastrophe klar wurden. »Diese Meldung sollten Sie lieber Brigadier Shelton direkt machen, Leutnant«, sagte Kit.
»Wenn Shelton doch mehr als ein dienstbeflissener Soldat wäre«, murmelte Colin, als der Leutnant gegangen war. »Irgendeiner muß doch hier einmal eine Strategie entwickeln. Die Truppen sind gründlich entmutigt, weil sie dauernd diese Untätigkeit mitsamt den Hungerrationen ertragen müssen. Ich kann sie nicht einmal dazu bewegen, zackig zu salutieren, und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihnen weiter trauen kann als einen Steinwurf weit.« Das war die finstere Wahrheit. Die Moral war so tief gesunken, daß es immer schwieriger wurde, die Truppen im Feld zu sammeln.
»Das ist nicht allein Sheltons Schuld«, wandte Kit ein. »Aus Fairneß muß man zugeben, daß Elphinstone seinem stellvertretenden Kommandeur das Leben nicht gerade leicht macht. Er beharrt noch immer auf seinem Kommandorecht, obwohl er keine Entscheidungen mehr treffen und das Bett kaum verlassen kann.«
»Das ist wahr.« Colin zuckte verdrießlich mit den Schultern.
»Kit, ich brauche eine Kavalleriedivision mit einem Feldgeschütz«, eine gehetzte Stimme ließ sich im Türrahmen vernehmen. »Ich habe gehört, dafür seien Sie zuständig. Fertig zum Abmarsch in einer halben Stunde.«
»Sehr wohl, Major«, sagte Kit zu dem verschwindenden Rücken von Major Swayne. »Seit wann bin ich für Kavalleriedivisionen und Feldgeschütze zuständig?« fragte er sich laut.
»Seit der Erstürmung des Forts von Mahomed Shereef«, Colin grinste mild. »Ganz schöner Ruf, mein Freund, den du dir bei einem unserer wenigen Triumphe im Feld erworben hast.«
»Ein Ruf, der gerechterweise einem Havildar namens Abdul Ali zusteht«, berichtigte Kit. »Er hat seine eigene Gruppe von Sepoys, und die sind auch bereit, ihm in Dantes Inferno zu folgen. Aus irgendeinem Grund hat sich Abdul mir angeschlossen.«
»Also, dann paß diesmal auf«, riet Colin. »Und laß dir von dem Havildar den Rücken freihalten.«
Kit nickte. »Am besten sage ich es jetzt gleich Annabel. Ich sehe mich lieber einem afghanischen Säbel gegenüber als einem Ausbruch meines grünäugigen Luchses.«
Colin lachte leise. »Du hast wirklich Glück, du Bastard. Wünschte, ich hätte etwas dieser Art, das mich von Schwermut und Schicksal ablenkt.«
Erstaunlicherweise veranlaßte die Bemerkung Kit nicht zu der heiteren Entgegnung, auf die Colin abgezielt hatte. Kit schüttelte den Kopf, und unter seinen grauen Augen lagen tiefe Schatten. »Es ist ganz und gar verteufelt, Colin, mit einem ungeahnten Gefahren ausgelieferten Menschen zusammenzusein. Ich kann gut mit der Gewißheit meines eigenen Todes leben … wenn nicht bei diesem Fiasko, dann ein andermal … aber mit der Gewißheit von Annabels Untergang kann ich nicht leben. Beständig werde ich von dem Wissen gequält, daß sie nicht in Gefahr wäre, hätte ich mich nicht in so blinder Arroganz entschlossen, mich in ihr Leben einzumischen.«
»Spürt sie das?«
Kit schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, sie dazu zu überreden, zu Akbar Khan zurückzukehren, aber sie will nicht. Sie hat diesen empörenden afghanischen Glauben an das Schicksal. Wir alle handeln nach unserer Bestimmung, und auch das Ergebnis ist festgeschrieben, so daß die Wahl zwischen Leiden und Glück nicht in unseren Händen liegt. Du mußt annehmen, was auf dich zukommt, und, wenn du kannst, dazu lächeln.«
»Es gibt schlimmere Vorschriften«, meinte Colin ernst.
»Wahrscheinlich«, hängende Schultern begleiteten Kits Worte. »Ich muß
Weitere Kostenlose Bücher