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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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Bitte um Rückzugsverhandlungen gleichgekommen«, verdeutlichte Annabel.
    »Jetzt bleibt uns ohnehin nichts anderes mehr übrig«, sagte er auf einmal schroff. »Vielleicht wäre uns wenigstens ein Anflug von Würde verblieben, wenn wir uns aus strategischen Gründen in das Unvermeidliche geschickt hätten.«
    »Ich möchte mit dem General und dem Kronbevollmächtigten sprechen«, verlangte sie energisch.
    Kit schlug es ihr ab.
    »Es gibt Dinge, die ich ihnen sagen kann – Dinge, die ich weiß, und von denen sie nichts wissen.«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich nicht will, daß du Offiziersmessenklatsch und dem Tratsch der Salons ausgesetzt wirst.«
    »Ich dachte, wir sind uns darin einig, daß die Zeit zum Versteckspielen vorbei ist.«
    »Aber nicht die Zeit für Diskretion.«
    »Kit –«
    »Nein!« Er machte auf den Fersen kehrt und ließ sie auf dem Exerzierplatz stehen, eine bemerkenswerte Gestalt von europäischem Aussehen, aber in der Kleidung der Afghanen. Mit einer tiefen Falte auf der Stirn sah sie zu, wie er verschwand. Dann setzte auch sie sich mit langen, ungeduldigen Schritten in Bewegung, der lange Mantel flatterte hinter ihr im Wind und schlug an die lederumhüllten Beine, während sie durch das Kantonnement hastete.
    »Junge Frau!« Bei dem befehlsgewohnten Ton hielt sie inne, blickte dorthin, woher die Stimme drang, und erkannte Lady Sale.
    »Ma’am?« Diese Anrede verriet selbstverständlich ihre Herkunft. Wäre sie weitergegangen, als hätte sie den Ruf nicht verstanden, dann wäre die Scharade aufrechtzuerhalten gewesen. Es war schon zu dunkel, als daß Lady Sale viel mehr hätte sehen können als das glänzende Haar und die afghanische Kleidung.
    »Kommen Sie herüber.« Ihre Ladyschaft winkte sie herrisch aus ihrem Vordergarten zu sich, daher überquerte Annabel die Straße. Lady Sale hob ihr Lorgnon und musterte sie im trüben Licht, welches durch eines der Fenster hinter ihr auf die Straße fiel, übersah kein Detail ihrer Erscheinung, die sie jetzt zum ersten Mal, da die inzwischen vertraute Gestalt ohne Chadri oder Schleier war, unverhüllt vor sich sah. »Das habe ich mir gedacht«, erklärte sie. »Ich weiß nicht, was hier vor sich geht.« Ihre Ladyschaft mochte ihren Augen nicht trauen, denn ein derartiges Vorkommnis hatte sie noch nie erlebt.
    »Es hat eine verheerende Flucht gegeben, Ma’am«, erklärte Annabel, sie willentlich mißverstehend. »Der Feind hat Ihre Truppen über die Ebene getrieben –«
    »Das ist es nicht, wovon ich spreche«, unterbrach Lady Sale sie. »Und warum sollten Sie ›Ihre‹ Truppen sagen? Sie sind Engländerin wie ich, nicht wahr? Und eindeutig aus einer guten Familie, Ihrer Stimme nach. Aber ich sage Ihnen, daß diese Kleidung eine Schande ist.«
    »Unglücklicherweise, Ma’am, ist sie die einzige, die ich besitze.« Einen absurden Augenblick lang fühlte Annabel sich in den Salon ihrer Mutter nach Peshawar zurückversetzt, wo sie als kleines Mädchen in einem Musselinkleid ihren Knicks gemacht, höflich auf die zahllosen Fragen der Gäste ihrer Mutter geantwortet und sich bemüht hatte, nicht das Gesicht zu verziehen, als ein schnurrbärtiger Herr, der nach Zigarren und Brandy roch, sie abküssen wollte.
    »Ich wußte es, daß Christopher Ausflüchte gebraucht«, murmelte Ihre Ladyschaft und runzelte grimmig die Stirn. »Ich kenne ihn zu lange, als daß er mir einen Bären aufbinden könnte. Woher kommen Sie, Mädchen?«
    »Peshawar«, antwortete Annabel munter.
    »Unsinn! Ich kenne alle Familien in Peshawar.«
    »Ma’am, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bin nicht davon überzeugt, daß ich Ihre Fragen beantworten muß«, sagte Annabel freundlich. »Ich kann Ihnen versichern, daß ich, wenn ich sie beantworte, nur die Wahrheit sage.«
    Lady Sale zog ihren Mantel enger um sich, um den eisigen Wind, der Schnee ankündigte, auszusperren, und verlangte grob zu wissen, ob sie unter Christopher Ralstons Dach lebe.
    Annabel überlegte sich ihre Antwort gut. »Ja, Ma’am.«
    »Dann sind Sie nicht besser als eine Marketenderin.«
    »Wie Sie meinen, Ma’am.«
    Ihre Inquisitorin starrte die sanft lächelnde junge Frau an, deren Sprache der achtsam modulierten Art der höheren Gesellschaftsschichten entstammte, die ihre Jade-Augen nichts verraten ließ und die sich dennoch von der milchweißen Haut in merkwürdig verwegenem Gegensatz abhoben.
    »Ich durchschaue das Ganze nicht«, bemerkte Ihre Ladyschaft. »Aber das werde ich noch.« Sie

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