Jade-Augen
einem Fenster, wie die erregte Menge die verstümmelten Körper von Macnaghten und Trevor durch die Straßen trugen und sie schließlich an Fleischerhaken im Basar aufhängten.
»Kein angenehmer Anblick, nicht wahr, meine Herren?« Eine leise Stimme drang von der Tür des Raumes her, in den sie verbracht worden waren, zu ihnen. Akbar Khan trat herein, gefolgt von zwei Dienern, die Tabletts mit Essen trugen und einen Krug mit honiggesüßtem Sorbet. »Ich bedaure die Gewalttätigkeiten von heute morgen sehr«, sagte der Khan ruhig und schickte die Diener hinaus, nachdem sie ihre Last abgestellt hatten. »Der Tod von Macnaghten, Huzoor, ist äußerst bedauerlich.«
»Dann war seine Ermordung nicht beabsichtigt?« fragte Colin, die Augenbrauen ungläubig nach oben gezogen.
»Beim Propheten, nein«, sagte Akbar Khan und strich sich über den Bart. »Bitte, eßt und trinkt … ihr seid meine Gäste. Nein«, fuhr er fort, »ich hatte den Tod des Kronbevollmächtigten nicht beabsichtigt. Ich wollte lediglich seiner Person habhaft werden; aber er war ein sehr törichter Mann, daß er mit Verrätereien herumspielte, und man könnte sagen, er hat seinen Tod verdient. Ich konnte meine Stammesbrüder nicht mehr mäßigen, nachdem ihr Blut einmal in Wallung versetzt war. Der Afghane, meine Herren, kann Verrat nicht ertragen.«
Colin verkniff sich eine Bemerkung, daß in Afghanistan Menschen wie Macnaghten gute Lehrmeister hätten, wenn es um Verrat ging. Freilich konnte er sich vorstellen, daß Akbar Khan solch eine Bemerkung nicht mögen würde, genausowenig, wie er Colins Zweifel an seiner Unfähigkeit, die Blutgier seiner Landsleute im Zaum zu halten, gutheißen würde.
Der Khan hatte sich an den Tisch, auf dem die Nahrungsmittel standen, gesetzt und betrachtete die Offiziere erwartungsvoll. Colin und Lawrence setzten sich ebenfalls und schämten sich dafür, wie ihnen beim aufsteigenden Geruch der zugedeckten Speisen das Wasser im Munde zusammenlief. Aber ihre leeren Mägen sehnten sich nach gutem und reichhaltigem Essen, das erste in diesen Wochen, und das Entsetzen der letzten Stunden schien ihnen keinerlei Zurückhaltung abzunötigen.
Akbar Khan hielt den Ablauf eines zivilisierten Gesprächs die ganze Mahlzeit hindurch aufrecht, dennoch erlahmte sein scharf forschender Blick nicht. »Es war wirklich ein Glück, daß wir wenigstens euch aus den Händen des Mob befreien konnten«, bemerkte er gegen Ende des Mahls. »Werdet ihr General Elphinstone mein tiefstes Bedauern übermitteln und meinen Wunsch, daß wir die Verhandlungen ohne Verzögerung wiederaufnehmen?« Trotz des fragenden Tonfalls in seiner Stimme wußten die Zuhörer, daß dies nur der Form halber geschah. Sie würden selbstverständlich jede Botschaft, die Akbar Khan äußerte, übermitteln.
Colin deutete ihr Einverständnis an und wartete. Da war etwas an der Art, wie ihr Gastgeber seine Stirn in Falten legte und wie er sich über den Bart strich, was darauf hinzudeuten schien, daß seine Absichten mit ihnen noch nicht abgeschlossen waren.
»Ihr seid natürlich bekannt mit Christopher Ralston«, sagte Akbar Khan schließlich.
Annabel, dachte Colin. »Ja, er ist einer meiner Freunde«, antwortete er verbindlich.
»Ah … dann ist dir zweifellos bekannt, daß er einen Gast hat.«
Colin hielt den scharfen, blauen Augen stand. »Ja, das ist es, Sirdar. «
»Dann wirst du es, hoffe ich, nicht ablehnen, mein Bote in einer weiteren Angelegenheit zu sein.« Der Khan stand auf und verließ den Raum. Als er nach wenigen Minuten zurückkehrte, hielt er ein geschnitztes Kästchen aus Rosenholz in Händen. Er stellte es auf den Tisch, öffnete es und brachte zwei gleichartige Armreifen aus kunstvoll gearbeitetem ziseliertem Silber zum Vorschein. Die Schlösser waren besonders geschickt gearbeitet, und während die beiden Männer zusahen, nahm der Khan einen winzigen Schlüssel aus der Schatulle und sperrte die Schlösser auf. Dann legte er den Schlüssel zurück in das Kästchen.
»Würdest du so gut sein und diese beiden Ayesha überreichen?« lautete seine Bitte. »Schließe sie nicht. Wie du siehst, können sie nur mit dem Schlüssel wieder geöffnet werden, und der Schlüssel verbleibt in meinem Besitz.« Ein dünnes Lächeln zeigte sich auf den schmalen Lippen. »Es gibt keine weitere Botschaft. Ayesha wird es vollkommen verstehen.«
Colin spürte, wie es ihn eiskalt überlief. Da war etwas beinahe Barbarisches an den Armreifen … etwas Magisches und
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