Jade-Augen
Verbotenes, so kam es ihm vor. Sie schienen von einer anderen Kultur zu künden und von anderen Gesetzen, mit einer Aura unerlaubter, sowohl aufregender wie auch unheimlicher Versprechen. Er hob die Augen von den Armreifen und sah dem Khan, der seinem fragenden Blick mit der Andeutung eines Lächelns begegnete, direkt in die Augen.
»Wir alle haben unsere Sitten«, sagte er milde. »Die Feringhees verstehen die meines Volkes nicht so leicht. Ich bin sicher, Ayesha wird es dir erklären.« Dann kehrte er zur Tagesordnung zurück. »Ihr brecht jetzt von hier auf und werdet von einer Eskorte zurück zum Kantonnement gebracht. Ich werde auf die Antwort von General Elphinstone warten, die sicher bald eintrifft.«
Eine Stunde später erreichten Lawrence und Mackenzie mit einer Eskorte schweigender und gut bewaffneter Ghilzai das Kantonnementstor. Die Wachen am Tor grüßten sie mit einigem Erstaunen und mit Erleichterung, aber das war nichts im Vergleich zu dem freudigen Empfang, der ihnen im Hauptquartier bereitet wurde, wo ihre Freunde verzagt gewartet und dem Kampfgeheul gelauscht hatten, das aus der Ferne zu ihnen gedrungen war.
Die beiden Überlebenden des Morgens übermittelten Akbar Khans Ausdruck des Bedauerns und seinen Wunsch nach Wiederaufnahme der Unterredungen, und Elphinstone gab mit Zittern und Krächzen in der Stimme abwechselnd seiner aufrichtigen Bestürzung über das Schicksal des Kronbevollmächtigten und Trevors wie auch seinem Zorn über die verräterischen, mörderischen Afghanen Ausdruck. Aber dem Zorn folgten keinerlei Taten, wenn man einmal davon absah, daß er Waffen an die gesamte Garnison ausgeben ließ und die Aufrechterhaltung der fortwährenden Verteidigungsbereitschaft befahl.
»Major Pottinger muß jetzt die Verhandlungen übernehmen, da der arme Sir William jetzt nicht mehr unter uns weilt«, murmelte Elphinstone. »Wir müssen unverzüglich zu einer Einigung kommen. Es gibt nicht einen Sack Getreide mehr im Kantonnement, habe ich gehört.«
In Colin stiegen nagende Schuldgefühle auf, weil er sich am Tisch des Feindes den Bauch gefüllt hatte, aber er schob sie angesichts des Elends als allzu sentimental von sich.
»Annabel wird froh sein, dich zu sehen«, sagte Kit leise, als sie das Generalsbüro verließen. »Wir alle hielten dich für tot.«
»Ich habe ein Geschenk von Akbar Khan für sie«, sagte Colin. »Ich verstehe nicht, was es bedeutet, aber er meinte, sie würde es begreifen.« Er sah seinen Freund besorgt an. »Es erschien mir etwas unheimlich, aber ich weiß nicht warum.«
»Alles von Akbar Khan würde zum jetzigen Zeitpunkt unheimlich sein«, bemerkte Kit und versank in Düsternis. »Seit ich ihm das erste Mal begegnet bin, fühle ich mich wie eine Maus, mit der vorsichtig und unendlich sorgfältig gespielt wird. Und verdammt, ich kann nichts dagegen tun, Colin. Annabel hat einfach eine so … fatalistische Einstellung dazu. Ich weiß, sie rechnet mit dem Schlimmsten, meint, es gäbe keinen Schutz vor Akbar Khans langem Arm, wenn er sich entscheidet, auf sie niederzufahren, und keinen Schutz vor dem Tod, der uns allen in diesem gottverlassenen Land bevorsteht. Aber ich weigere mich, das einfach hinzunehmen. Es muß etwas geben, was wir tun können.«
Als er dies sagte, hatten sie eben den Bungalow erreicht, und die Tür sprang auf. Annabel, mit fliegenden Haaren, kam den Gartenweg entlanggefegt. »Sie sind gerettet, Colin.«
»Wie Sie sehen«, murmelte er verlegen, als er ihren warmen, geschmeidigen Körper in seinen Armen wiederfand. »Es paßte Akbar Khan offenbar nicht in den Kram, daß Lawrence und ich ebenfalls niedergemacht wurden.« Seine Hände fuhren unbeholfen über sie, als suchten sie eine unverfängliche Stelle, wo sie sie berühren konnten, während sie an seinem Hals hing. »Wissen Sie, Annabel, Ihre Gefühle für mich sind sehr schmeichelhaft, aber doch ein wenig zu öffentlich auf der Straße.«
Lachend gab sie ihn frei. »Ihr Engländer seid alle gleich. Ihr glaubt, es sei etwas Schlechtes, seine Zuneigung zu zeigen.«
»Und was bitte, Miss, bist du?« wollte Kit wissen.
Ihre Augen glitzerten mutwillig. »Weder das eine noch das andere, Ralston, Huzoor. Kommt ins Haus, wo wir so offen sein können, wie wir wollen, ohne unwillkommene Aufmerksamkeit zu erregen. Ich möchte alles über heute morgen erfahren. Vielleicht kann ich mir dann eine Vorstellung davon machen, was Akbar Khan und die anderen Sirdars weiter planen.« Beide Männer
Weitere Kostenlose Bücher