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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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der Balla Hissar oder auf einen militärisch zu erkämpfenden Rückzug über die Pässe, dabei alles Gepäck und allen Ballast im Kantonnement zurücklassend, da beides einer Kapitulation, die auch keine Sicherheit garantiere und den Verlust aller Ehre bedeute, vorzuziehen sei. Das Offizierskorps erklärte jedoch diese Vorschläge für undurchführbar, und Major Pottinger war gezwungen, den freien Abzug der Armee und aller von ihr Abhängigen aus dem Kantonnement zu verhandeln.
    Es mußten riesige Summen an die Anführer gezahlt werden, damit sie den Vertrag unterstützten, da nur auf dieser Basis Lebensmittel für das Kantonnement zu erhalten waren. Er stimmte der Übergabe aller Artillerie von Bedeutung zu, und dann kam die Forderung nach Geiseln, vier verheiratete Offiziere mit ihren Frauen und Kindern. Der Versuch, Freiwillige hierfür zu finden, gelang auch mit dem Versprechen einer großzügigen Pension für die Betreffenden nicht, und Pottinger war gezwungen, die Sirdars dazu zu bewegen, auf Frauen unter den Geiseln zu verzichten. Die Kranken und Verletzten, die nicht marschieren konnten, wurden mit zwei Ärzten, die sie versorgen sollten, in die Stadt gebracht, und am Neujahrstag wurde ein überarbeiteter Vertrag ins Kantonnement geschickt.
    Die britische Garnison von Kabul würde die Evakuierung des Kantonnements unter dem Schutz und mit der Eskorte bestimmter afghanischer Anführer innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Aushändigung von Packtieren garantieren.
    Annabel stand auf dem Wall, Schnee blieb an der Kapuze ihres Mantels hängen. Der Schnee hatte nichts dazu beigetragen, um dem inzwischen gewohnten Spott und dem Steinewerfen der Stadtleute und fanatischer Ghazi Einhalt zu gebieten. Die Kanoniere standen starr neben ihren auf dem Wall aufgebauten, geladenen Geschützen, die sie nicht abfeuern durften. Sie spürte den tiefen, drohenden Groll der Soldaten, denen das Recht auf Gegenwehr versagt war, und sie starrte hinunter auf ihr Adoptivvolk und verfluchte sie in ihrer eigenen Sprache mit einer Bösartigkeit, die sie selbst erschreckte.
    Sie wußte, daß die Zusicherungen der Anführer nicht das Papier wert waren, auf dem sie geschrieben standen. Sie wußte es, und alle anderen wußten es auch, aber sie hatten sich in den Ranken von Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit verfangen. Was sollten sie sonst tun, ob es sie nun voranbrachte oder nicht? Mohun Lal, seinen britischen Zahlmeistern immer noch ergeben, warnte sie, daß es keinerlei Sicherheitsgarantie für ihren Rückzug gäbe, wenn sie nicht die Söhne der Sirdars als Geiseln verlangten; wie aber konnten sie so etwas fordern, wo sie doch selbst vollkommen machtlos waren und freiwillig alle Macht, sowohl in materieller als auch in politischer Hinsicht, abgetreten hatten?
    Der Schnee fiel so unbarmherzig, wie auch die Nachtfröste hereinbrachen, und beides zerstörte die noch verbliebene Moral der halbverhungerten Truppen, die in ihren aus Mangel an Brennmaterial ungeheizten Baracken zitterten. Und noch immer hatten die afghanischen Anführer keine Tragtiere geschickt.
    Annabel wußte, warum sie es hinauszögerten. Jeder zusätzliche Tag entkräftenden, sinnlosen Wartens, jede zusätzliche Handbreit Schnee auf den Pässen würde die Qualen des bevorstehenden Marschs noch vergrößern – eine Reise von achtzehntausend Menschen, mit Alten und Schwachen, mit Babys auf dem Arm, Kinder, Frauen, die soeben niedergekommen waren, und Schwangeren – ein Marsch, der unter normalen Umständen nur von gesunden, gut versorgten und von Feinden unbelästigten Menschen zu bewältigen war. Und Annabel wußte, daß diese Reise nicht unbehelligt bliebe.
    Mit den Fingern umspannte sie ihr Handgelenk. Wann würde Akbar Khan das Versprechen der Armreifen einfordern? Wie weit würde er ihr gestatten, das Volk, in welches sie hineingeboren war, auf seiner Reise in den fast sicheren Tod zu begleiten?
    Am fünften Januar befahl das militärische Kommando den Pionieren, den östlichen Wall niederzureißen, um einen größeren Ausgang zu schaffen, als ihn das Kantonnementstor bot. Ihnen fehlte noch immer die versprochene Eskorte, die Vorräte und die Transportmittel, aber die Evakuierung konnte keinen Tag länger hinausgeschoben werden.

18. KAPITEL
    Um neun Uhr am Morgen des sechsten Januar begann der große Exodus. Die Vorhut bestand hauptsächlich aus Sepoy-Infanterie, unzureichend gekleidet und durch Wochen ungenügender Ernährung halb verhungert, deren dünne

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