Jade-Augen
es überhaupt möglich ist ihn zu kennen.«
»Aber was soll aus uns werden?« klagte er, als beweine er bereits seinen Verlust, und nahm ihr Gesicht, als wolle er es in seine Hände prägen.
Annabel straffte sich: »Ach, Kit, wir haben keine Zukunft. Wir konnten nie eine haben. Ich muß zu ihm zurück. Vielleicht wartet dort der Tod auf mich, hier ist er mir auf jeden Fall sicher. Aber ich bin überzeugt, daß ich noch etwas Gutes bewirken kann, bevor geschieht, was geschehen muß.«
Vormals hatte sie, es schien ihm in seinem Schmerz in einem anderen Land und in einer anderen Zeit gewesen zu sein, zu ihm gesagt, daß sie sich ihm nur lieh, daß sie nur so lange bei ihm bliebe, bis geschah, was geschehen mußte. Und jetzt war dieser Zeitpunkt gekommen. Seine Hände fielen von ihrem Gesicht, und er wankte zurück.
Sie nickte langsam, drehte sich um und ging zu Charlie, dessen Kopf herabhing. Kit sah, wie sie Akbar Khans Silberarmreifen aus ihrer Satteltasche nahm, sie überstreifte und ohne Zögern die Schlösser einschnappen ließ. Dann blickte sie zu ihm auf. »Ich brauche einen Schleier, sonst werde ich Anstoß erregen.«
Schweigend öffnete er seinen Uniformrock und reichte ihr das Halstuch, das er trug.
Sie nahm es entgegen und befestigte es über der unteren Hälfte ihres Gesichts, sog seinen Duft und seine Wärme ein und schluckte die Tränen hinunter, die ihren Hals verengten und ihre Augen füllen wollten.
»Sag Harley für mich auf Wiedersehen«, bat sie. »Er ist heil durchgekommen. Ich habe ihn vor einer Weile gesehen.«
»Jawohl …«
»Und …« Aber es gab nichts mehr zu sagen. Ihre Augen versanken einen Augenblick lang ineinander, voll der einstmaligen Freuden und nun des gemeinsamen Verlusts, dann wendete Ayesha ihr müdes Pferd und trieb es zu einem Hügel über dem Khoord-Kabul-Paß, wo sich das Hauptkontingent der afghanischen Streitmacht versammelt hatte und mit der Geduld der Katze, die weiß, daß die Maus nicht fliehen kann, lauerte.
19. KAPITEL
Akbar Khan beobachtete das Herankommen der einzelnen Gestalt auf dem riesigen Schecken. Er spürte ein Aufwallen von Freude über das unverhoffte Wiedersehen mehr als über ihre Unterwerfung.
Den Männern seiner Umgebung bedeutete er, sich zurückzuziehen, so saß er allein da und wartete.
Sie ritt zu ihm heran und begrüßte ihn mit einem Salaam, und die Armreifen wurden unter den Stulpen der Handschuhe sichtbar, als sie die zusammengelegten Hände an die Stirn führte; der matte Glanz der Schmuckstücke war nicht zu übersehen. Ihre Augen hielt sie gesenkt und wartete, bis er ihr gestattete zu sprechen: »Ayesha, also bist du zurückgekommen.«
»Ja, Khan.« Sie wußte, sie durfte ihre Augen nicht heben, hier vor so vielen Männern, aber die Gewohnheiten der vergangenen zwei Monate hatten die ursprüngliche Sorglosigkeit wieder wachgerufen, und sie benötigte ihre gesamte Konzentration, um Haltung zu bewahren.
»Bringst du mir eine Botschaft von den Feringhees?« wollte er wissen.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich möchte dich gerne um Gnade für sie bitten. Unter ihnen sind Frauen mit Kindern, mit Babys … welchen Nutzen sollte ihr Tod haben?«
»Welchen Nutzen sollte ihr Leben für mich haben?« fragte er zurück.
»Großmut aus Überlegenheit kann Macht nur vermehren«, sagte sie.
»Dachtest du, Ayesha, mir seien diese Zusammenhänge nicht klar?«
»Nein, Khan. Ich wollte es nur selbst nochmals zum Ausdruck bringen.«
»Du wirst morgen zum Kommandanten der Feringhees zurückgehen und ihm sagen, daß ich die Familien der Offiziere unter meinen Schutz nehme.« Er machte eine Pause und ließ seinen Blick über die öde Landschaft gleiten hinauf in den grauen Himmel, wo ein Königsadler über den Berggipfeln seine Kreise zog. »Unter der Bedingung, daß ihre Männer sie als Geiseln begleiten.«
Annabel fand zu Ayeshas Unbewegtheit zurück. Akbar Khan schnitt der britischen Armee durch seine Bedingung praktisch den Kopf ab. Die meisten der ranghöheren Offiziere waren verheiratet und hatten ihre Familien bei sich. Er erzwang unerbittlich demütigend die Unterwerfung des britischen Kommandos. Warum sympathisierte sie nicht mehr mit seinem Bedürfnis, den arroganten Eindringling unter seinem Fuß zu zertreten? Weil sie jetzt den Eindringling mit all seinen Schwächen, seinem Humor und seinem Zorn, seiner Stärke kannte. Sie kannte den Eindringling als Individuum … als Colin, Harley, Bob, General Elphinstone, Lady Sale …
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