Jade-Augen
über den Schnee auf die wartende Gruppe zu und zermarterte sich das Gehirn, wie sie ohne Hilfe auf Charlies Rücken gelangen sollte. Kein Afghane würde einer Frau jemals eine solche Unterstützung gewähren.
Sie entbot Akbar Khan ihr Salaam und wartete, ob er ihre schwierige Lage erkennen und eine Lösung herbeiführen würde.
Er blickte zurück über seine Schulter, auf englisch bittend: »Würde einer der Herren wohl so freundlich sein, Ayesha beim Aufsteigen zu helfen?«
Colin stürzte mit verräterischer Schnelligkeit vor, bis ihre Augen sich, Gefahr signalisierend, einen Bruchteil hoben. Er ließ jeden Gefühlsausdruck auf seinem Gesicht ersterben, beugte sich vor und streckte ihr seine zusammengelegten Hände hin. Sie kletterte leicht hinauf und machte es sich im Sattel bequem.
Akbar Khan sprach vernehmlich auf persisch: »Du wirst dem Feringhee- Generalmitteilen, daß ich den Zustand der Frauen und Kinder in der Kolonne ernstlich beklage und daß ich meinen Schutz anbiete unter der Bedingung, daß ihre Männer sie begleiten. Du wirst ihm sagen, daß ich gelobe, den Zug hinter der Nachhut selbst durch die Pässe zu eskortieren.«
Ein Versprechen, das nicht die Luft wert war, die es trug, dachte Ayesha, aber sie nickte und machte sich bereit, um loszureiten.
»Und Ayesha …« Etwas in seiner Stimme entlockte ihr ein Aufwallen von Dankbarkeit. »Du wirst Ralston, Huzoor, unter den verlangten Geiseln nennen.«
Vorübergehend wurde die Dankbarkeit von einer Welle des Glücks überdeckt. Selbst wenn sie ihn niemals sehen sollte, würde schon das Wissen um seine Nähe Balsam für sie sein. Sie hatte sich nicht vorstellen können, wie sie mit der Ungewißheit fertig werden sollte, ob er den Tod gefunden hatte, wie es hätte kommen müssen, wenn er bei der britischen Kolonne blieb. Dann kehrte die Angst zurück. Akbar Khan würde dem Mann, der seinen Besitz gestohlen hatte, keinen Gefallen tun. Welches Spiel hatte er mit ihnen vor?
»Wie du wünschst«, sagte sie in der üblichen Fügsamkeit.
»Mach dich jetzt auf den Weg.«
Sie ritt den Hügel hinunter auf die Ebene zu, wo der verlorene Haufen der Briten lagerte. Diejenigen, die in der Nacht nicht erfroren waren, erhoben sich langsam aus ihren verschneiten Lagern, um sich dem dritten Tag ihres Marsches in den Tod zu stellen.
Kit sah sie kommen und fragte sich, ob er seinen gesunden Menschenverstand verloren hatte und auf dem Weg in den Wahnsinn war. Er versuchte zu rennen, aber seine Muskeln waren nach der nächtlichen Kälte so steif, daß er in den Schnee fiel. Fluchend rappelte er sich auf und humpelte hinüber zu der Gruppe, die zitternd den General umstand.
»General, ich bringe ein Angebot von Akbar Khan«, sagte Ayesha ohne Einleitung. Sie entfernte ihren Schleier und ihre Augen suchten voller Liebe die anderen. Sie lächelte Kit zu, sein Blut erwärmte sich, floß wieder, und die Kraft kehrte in seine Muskeln und Sehnen zurück. Er ging zu ihr hinüber, hob gebieterisch die Arme, und Annabel glitt von Charlie hinunter an seine Brust.
»Was ist das?« ließ sich der General vernehmen.
»Ich bitte um Entschuldigung, Sir«, sagte Kit, obwohl er nicht aufhören konnte zu lächeln, wie irgendein halbverrückter Possenreißer, dachte er fröhlich, als er sie in seinen Armen hielt und verwundert gegen ihre Wangen flüsterte: »Ich hätte nicht gedacht, daß ich dich je wiedersehe.«
»Wie lautet sein Angebot?« fragte Brigadier Shelton kurz angebunden.
Annabel wendete den Kopf, noch immer von Kits Armen umschlossen. »Akbar Khan bietet seinen Schutz für die Frauen und Kinder an, unter der Voraussetzung, daß ihre Männer sie in sein Lager begleiten.«
Ein Stimmengewirr schockierten Protests erhob sich in der Gruppe, da jeder von ihnen die schlaue Masche durchschaute, welche die Truppe ihrer dienstältesten Offiziere berauben würde. General Elphinstone seufzte tief: »Meine Herren … meine Herren … Ihre Proteste in Ehren, aber wir dürfen die Damen nicht dieses Beistands berauben. Nehmen Sie Ihre Familien in Ihre Obhut und Gott sei mit Ihnen.«
»Akbar Khan verlangt auch, daß sich Hauptmann Ralston als Geisel zur Verfügung stellt«, fügte Annabel hinzu. Sie fühlte, wie sich Kit versteifte, und sah an ihm hoch. »Ich weiß nicht, was er vorhat. Es könnte für dich schlimmer sein als hierzubleiben … schlimmer für uns beide«, murmelte sie mehr für sich selbst. »Aber wenn du dich weigerst, dann könnte er sich vielleicht an den anderen
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