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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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durchringen, ihren Tod anzuordnen. Später, wenn er den Kopf wieder freier hatte, würde er sich überlegen, was mit ihr geschehen sollte.
    Die Entscheidung war getroffen, aber aus irgendeinem Grund brachte sie nicht den erwarteten Seelenfrieden. Warum erregte ihn ihre Äußerung so sehr, daß sie mehr als Begierde für Christopher Ralston empfand? Liebe war kein Gefühl, das Akbar Khan sich erlaubte, warum also sollte es ihm etwas ausmachen, daß Ayesha sie für einen anderen Mann empfand? Das Puzzle verlangte übermäßige Sorgfalt und störte seinen Entschluß, sich nicht weiter damit zu befassen, den Feringhee im Schnellverfahren abzuurteilen und Ayeshas Schicksal für später aufzusparen.
    Wie waren sie zusammen? Auf welche Weise beeinflußten ihre Gefühle den üblichen Ablauf der Leidenschaft? Warum sollte er seine Neugier nicht befriedigen? Eine prickelnde Vorstellung! Er würde zum zweiten Mal ein kleines Schauspiel auf die Bühne bringen. Das wäre der passende Abschluß für diese Geschichte, die vor vier Monaten ihren Anfang genommen hatte – außerdem hatte ein zum Tode verurteilter Mann das Recht auf eine letzte Nacht der Freuden. Er lächelte hinterhältig, als er ging, um die nötigen Befehle zu erteilen.
     
    Ayesha erreichte ihre Kammer, und als sich die Tür hinter ihr schloß, begann sie heftig zu zittern, jeder Muskel verkrampft, als ob sie ihn für Stunden angespannt hätte. Sie wollte weinen … schreien … in einem erschöpften, geschlagenen Knäuel auf dem Boden zusammenbrechen und den Kampf aufgeben. Warum war das alles geschehen? Warum war es ihr geschehen? Die übergroße Ungerechtigkeit benahm ihr den Atem, und sie versank in einem Morast des Selbstmitleids, ließ die Tränen fließen wie sie wollten, gegen dieses Schicksal hadernd, das sie in einen Abgrund von Verlust und Angst geworfen hatte. Jede Spur von Beherrschtheit, die sie in den letzten acht Jahren erworben hatte, wurde von einem Ausbruch verdrängt, welcher der Annabel Spencer von einst würdig gewesen wäre. Dann, als der Sturm nachließ und sie an jene anderen dachte, die irgendwo in der Festung ebenfalls eingekerkert waren, von denen manche hatten zusehen müssen, wie ihnen die schreienden Kinder aus den Armen gerissen oder vor ihren Augen in Stücke gehauen worden waren, da rückte sie ihre Verzweiflung zurecht. Es hatte sollen sein.
    Eines aber ist gewiß, das Leben fliegt; nur eines ist sicher und das andere lügt; auch das ewige Blühen muß sterben. Die Worte Omar Chajjams brachten den Trost, den sie seit jeher gebracht hatten. Vielleicht trösteten sie andere nicht, aber Ayesha, die über ihren tieferen Sinn so viele Jahre lang nachgesonnen hatte, brachten sie den Frieden der Ergebung. Sie wusch ihr Gesicht mit dem kalten Wasser in der angeschlagenen Schüssel hinten im Raum und kühlte so ihre geschwollenen Augen. Sie ließ ihre Haare herunter und bürstete sie mit rhythmischen, beruhigenden Strichen, dann klopfte sie gebieterisch an die verschlossene Tür.
    Eine wackelige, schwarzgekleidete Frau öffnete, die Hände knorrig und den Rücken von jahrelang getragenen schweren Lasten gebeugt. Sie blickte durch die junge Frau hindurch, der zahnlose Mund ein wenig geöffnet. Sie war wahrscheinlich nicht älter als dreißig, dachte Ayesha.
    »Bring mir etwas zu essen und Tee«, befahl Ayesha, ihre Stellung als Akbar Khans Favoritin keineswegs gemindert durch den Gefangenenstatus. »Und Brennholz für das Feuer.«
    Die Frau murmelte eine Bestätigung, bevor sie die Tür verschloß. Ayesha konnte ihre Pantoffeln über den Gang schlurfen hören. Sie setzte sich wieder vor den Kamin und überließ sich ihren Träumen, ihr eigenes Schicksal webend, spielend und eine Zukunft für sich planend.
     
    In den Quartieren der Geiseln flackerten die Kerzen, und die Feuer rauchten, aber es erschien ihnen die erste Nacht seit Äonen, die sie innerhalb von Wänden und unter einem Dach zubrachten. Die Kinder waren still; die Entkräfteten schliefen oder lagen friedlich in der Nähe der Feuer. Man hatte ihnen einen riesigen Topf Fleischbrühe und mehrere dicke Fladenbrote gegeben. Glänzende Fettklumpen von den Schwänzen der Schafe schwammen auf der Oberfläche der Suppe, und Kit erinnerte sich an Annabels Bericht, wie hoch die Nomaden die Schwänze der Schafe bewerteten, weil sie für viele während der langen Winter die einzige Fleischquelle darstellten. Niemand hatte das Gesicht verzogen, als sie die dünne, fettige Brühe

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