Jade-Augen
Parterre der Festung geführt. Fünf verdreckte, kaum möblierte Unterkünfte für fünfzig Männer, Frauen und Kinder. Ein Gefühl des Verlorenseins überfiel sie alle angesichts eines Elendsquartiers, das sie für eine nicht abzusehende Dauer bewohnen sollten. Das durchdringende Wehklagen eines Kindes verkündete, daß es diesen Ort nicht mochte. Er war kalt und schmutzig und übersät von Ungeziefer, warum durften sie nicht endlich in die Freiheit?
Das Weinen brachte die körperlich Unversehrten unter ihnen auf Trab. Die Räume wurden eingeteilt, Gruppenführer bestimmt und eine Abordnung gewählt, die sie vor ihren Gefangenenwärtern vertreten sollte.
Kit wurde für die Abordnung bestimmt zusammen mit Major Pottinger, Mackenzie und Lawrence. Der General war körperlich inzwischen so geschwächt und die Zersetzung seines Verstandes durch die Demütigung des Kommandoentzugs so weit fortgeschritten, daß seine Autorität auf Brigadier Shelton übertragen wurde. Unter den Frauen übernahm Lady Sale trotz ihrer verwundeten Hand energisch die Führung.
Kit machte sich im stillen Gedanken darüber, ob er die Wahl nicht ablehnen sollte – seine Eingliederung unter die Geiseln hatte eine persönliche Komponente gehabt, die sich vielleicht negativ auf zukünftige Verhandlung um bessere Bedingungen auswirken könnte; dann entschied er jedoch, daß er sich so benehmen mußte, als hätte es niemals eine Frau gegeben, die zwischen ihm und Akbar Khan stand. Es gab nichts, was er zu einer Änderung der Lage beitragen konnte, bis Akbar Khan seine Karten auf den Tisch legte. Bis dahin war er einfach irgendein Soldat, der in seinem tiefsten Inneren hin und her gerissen wurde zwischen der natürlichen Erleichterung über seine gegenwärtige Sicherheit und dem tiefen Abscheu über die Demütigung der Gefangenschaft und ihrer Kapitulation.
Wo in diesem Kerker befand sich Annabel? Wußte sie, wo er war? Stand sie irgendwo an einem Fenster und blickte hinaus, in ihrem Herzen genauso wie in seinem der Schmerz des Verlusts?
Als die Abordnung über den Hof geführt wurde, suchten seine Augen fieberhaft die unnachgiebigen Wände und die winzigen, leeren Fenster ab; er war krank vor Anspannung über dem Bemühen, irgendeinen Hinweis auf ihre Anwesenheit wahrzunehmen. Sie gingen an einer Gruppe schwarzgekleideter Frauen vorbei, die aus einem Brunnen Wasser schöpften. Das Frauengespräch verstummte, als die Männer vorbeikamen, und sie wandten ihre Gesichter den Wänden zu, fort von den verbotenen Gesichtern der Feringhee- Männer.
Durch schlecht beleuchtete Gänge kamen sie, mit Steinfußböden, denen, ebenso wie ihren Unterkünften, Schrubber und Wasser gutgetan hätten. Er sah andere Innenhöfe, und in einem davon hängten Frauen Wäsche auf. Sein Herz raste, als er unter den Kleidungsstücken die smaragdgrüne Jacke erkannte, die so gut zu ihrem kupferfarbenen Haar und zu ihren Jade-Augen paßte. Er verspürte das vollkommen abwegige Bedürfnis, die Jacke von der Leine zu stehlen, seine Nase in dem weichen Leinen zu vergraben, um diesen flüchtigen Duft einzuatmen, der nur Annabel eigen war, ein Gemisch aus Zimt und Rosen, und dessen Erinnerung ihn schwindlig machte.
Akbar Khan empfing sie in einem winterdunklen Audienzraum, wo Kerzen aus Schaftalg einen Gestank verbreiteten, der sich mit jenem des Dungfeuers vermischte. »Ich fürchte, meine Herren, unsere Unterbringung ist ein wenig bescheiden«, sagte er freundlich. »Wenn es möglich gewesen wäre, dann hätte ich Sie bequemer in einer meiner eigenen Festungen untergebracht.« Seine Augen verharrten auf Kit. »Hauptmann Ralston wird Ihnen die Annehmlichkeiten, die ich dort pflege, bestätigen.«
»In der Tat.« Kit verneigte sich leicht. »Deine Gastfreundschaft, Khan, hätte nicht größer sein können.«
»Ja«, murmelte der Khan. »Allmählich glaube ich das auch.« Er hantierte mit einigen Papieren auf dem breiten Tisch vor sich, bevor er aufblickte: »Die Herren haben Fragen?«
»Es ist üblich bei Kriegsgefangenen, über ihre Haftbedingungen zu verhandeln«, begann Pottinger steif.
»Ich bin bereit, alles für eure Bequemlichkeit zu tun, was in meiner Macht steht«, versprach Akbar Khan und klang aufrichtig. »Aber mir sind hier Grenzen gesetzt.« Er holte weit aus. »Die Festung ist vernachlässigt worden und im Winter von den ärmsten Bergbewohnern bewohnt. Ich nehme an, der Zustand der Behausung entspricht nicht dem, was ihr gewohnt seid.«
»Ungeziefer«,
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