Jade-Augen
Glauben seid«, er tat gekränkt. »Ich habe niemals zuvor an einem derart abscheulichen Theater teilgenommen.«
»Ach, Feringhee« ,spottete sie. »Schien es dir zu ungereimt? Oder war es zu schmerzhaft, das afghanische Spiel zu spielen? Hat es deinen Stolz so sehr verletzt? Sicherlich war es doch besser, als der Preis im Buzkashi zu sein?«
Kit schloß die Augen vor Zorn. Er wußte, was jetzt zwischen sie trat. Die entsetzliche Angst der vergangenen Monate sollte eigentlich vorüber sein, aber sie stand zwischen ihnen wie ein amputierter Arm, der abgeschnitten noch immer weh tat. Sie mußten wieder eine Verbindung aufbauen, die das Neue zuließ, das Wissen, daß sie jetzt einander und nur einander gehörten. Und er mußte versuchen zu verstehen, daß für Annabel der endgültige Abschied von Ayesha nicht durch einen Wegwurf bewältigt werden konnte.
Er zog ihr den Schleier vollends vom Kopf und nahm sie in seine Arme. »Liebste, wir dürfen nicht streiten … nicht jetzt. Ich kann mir die Todesängste, die du in den vergangenen Stunden erlitten hast, vorstellen, indem ich einfach an meine eigenen denke.« Er strich eine kupferfarbene Strähne aus ihrer Stirn. »Aber es ist vorbei, und wir dürfen noch einmal beginnen. Du gehörst jetzt zu uns.«
»Wirklich?« Ihre Stimme klang merkwürdig flach, ließ ihr gewohntes Selbstvertrauen vermissen. »Ich weiß nicht, was jetzt geschehen soll. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Wie soll ich auf so engem Raum mit den anderen zusammenleben? Ich gehöre nicht wirklich zu ihnen. Ich gehöre weder zu ihnen noch zu den Afghanen. Alles was seit den Ereignissen im Khoord-Kabul-Paß geschehen ist, hat mir die Augen geöffnet. Und sie wissen, daß ich keine der ihren bin.«
»Du könntest mir vertrauen«, schlug er lächelnd vor. »Ich werde mich um dich kümmern.«
Ihr Kinn hob sich, und das spöttische Glitzern kehrte in ihre Jade-Augen zurück. »Das hast du auch gelobt, Ralston, Huzoor. Für meine Existenz die Verantwortung zu übernehmen, nach deinen Möglichkeiten, so wie Akbar Khan es die vergangenen acht Jahre getan hat. Ich gehöre dir. Du hast den Schlüssel.« Sie hob die Hände und drehte sie so, daß der einzige Sonnenstrahl, der gerade zwischen die beiden Gebäude fiel, die beiden Armreifen zum Glänzen brauchte.
Unvermittelt erwog Kit, ob Zorn vielleicht doch einen Sinn hatte. Annabel schien aus irgendeinem hartnäckigen Grund – und er hatte schon genug Gelegenheit gehabt dies zu beobachten – darauf versessen zu sein ihn herauszufordern, doch nach den vergangenen Stunden besaß er keine Energie mehr, Provokationen zu widerstehen. In der Tat, auf einer bestimmten Ebene würde er einen heiligen Zorn sogar willkommen heißen.
Unsanft drückte er den Schlüssel aus seiner Tasche in ihre Hand: »Der Schlüssel gehört dir. Die Armreifen sind dein. Du trägst sie, oder du trägst sie nicht, ganz wie es dir beliebt.« Er schloß ihre Finger um den Schlüssel. »Ich gebe dir eine faire Warnung – ich habe genug von diesem afghanischen Geplänkel, habe an diesem einen Morgen Beleidigungen für ein ganzes Leben genug hinnehmen müssen; wenn du also einen Streit vom Zaun brechen willst, Miss Spencer, kannst du ihn mit dem größten Vergnügen bekommen.«
Die grauen Augen stießen auf sie nieder, während sie in ihren rauhen, schwarzen Bauerngewändern dastand, von denen sich ihre Haare so aufregend hell abhoben wie ihre übergroßen Augen von ihrem blassen Gesicht. »Ich bitte dich um Verzeihung«, sagte sie. »Ich möchte keinen Streit.«
Kit atmete tief. »Gut. Denn ich sage dir, Liebste, dies scheint auch mir weder der richtige Zeitpunkt noch der passende Ort dafür.« Ihr Kinn fassend, hob er ihr Gesicht und küßte sie zärtlich. Ihre Teilnahmslosigkeit erschreckte ihn. »Was ist, Liebste?« Er lächelte, berührte ihre Wange.
»Nichts«, sagte sie tonlos. »Ich weiß nur nicht, was ich jetzt tun soll.«
Seit wann hatte Annabel-Ayesha Schwierigkeiten, sich für Worte oder Handlungen zu entscheiden? Dann erkannte Kit in einem plötzlichen Schock, daß sie ihre innere Antriebskraft verloren hatte, als ob ihr Lebensfunke ausgelöscht sei, der verzweifelte Kampf in dem Audienzzimmer um ihrer beider Leben ihre letzten Reserven aufgebraucht hätte. Ohne ihre Übersetzung und Führung hätte er nie verstanden, was von ihm erwartet wurde, hätte die falschen Züge gemacht, und sie wären beide verloren gewesen.
Es wurde Zeit, daß er das Ruder übernahm. Sie
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