Jade-Augen
verlassen hatte, erwartungsvoll und bekümmert an ihren Nägeln geknabbert. Je länger sie über ihren Ausbruch nachdachte, desto mehr sank sie in sich zusammen. Sie, die acht Jahre lang ohne Erlaubnis nicht einmal ihre Augen zu einem Mann aufgehoben hatte, war nun vor vollkommen Fremden ohne jede Selbstkontrolle über Kit hergefallen. Und da sie sich ihr Verhalten weder erklären noch vor sich selbst rechtfertigen konnte, war es mehr als unwahrscheinlich, daß ihr für den zu Recht schäumenden Kit überzeugende Argumente einfallen würden.
Beim Geräusch der Eingangstür sprang sie auf und stellte sich der Wohnzimmertür gegenüber auf.
»Salaam, Ralston, Huzoor« ,sagte sie demütig und berührte ihre Stirn mit zusammengelegten Händen, als er eintrat.
»Erspar mir das!« Die Tür fiel geräuschvoll ins Schloß. »Du Furie! Wie kannst du es wagen, mich auf diese ungeheuerliche Weise zur Rede zu stellen, wie irgendein Fischweib von Billingsgate?«
»Aber du hast versprochen –«
»Nein, du hast versprochen«, unterbrach er. »Du hast zugesagt, dich im Kantonnement mit Umsicht zu benehmen. Und was tust du? Du fällst über mich her mit der offensichtlichen Intimität von jemandem, der mit mir das Bett geteilt hat, in Sicht- und Hörweite des ganzen Kantonnements! Die Geschichte wird morgen früh in aller Munde sein, und wie, zum Teufel, soll ich sie erklären?«
»Sag die Wahrheit«, schlug sie vor. »Ich habe dir schon gesagt, daß es mir nichts ausmacht.«
»Und ich habe dir gesagt, daß es mir etwas ausmacht. Davon einmal abgesehen, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie auf diese Weise von jemandem in Verlegenheit gebracht worden, noch nie!«
»Ich schäme mich«, sie verneigte sich. »Ich habe mich unentschuldbar benommen. Ich hatte einfach solche Angst um dich, und so etwas habe ich noch nie für einen Menschen empfunden.«
»Aber wie konntest du alles vergessen, was wir besprochen haben?« Er warf seinen Mantel auf das Sofa und fuhr sich mit den Händen durch die Haare, in die das Licht der Lampe goldene Flecken streute. »Wie, Annabel?«
»Ich weiße es nicht«, antwortete sie. »Ich begreife selbst nicht, was mit mir geschehen ist. Als Kind war ich leicht aus der Ruhe zu bringen, daran erinnere ich mich, aber das letzte Mal habe ich die Beherrschung bei dem Ghazi verloren, der mich zu Akbar Khan gebracht hat. Seit damals habe ich gelernt, meine Gefühle für mich zu behalten.« Sie drehte sich um und blickte nun in das Kaminfeuer. Ihre Worte kamen langsam, und sie schien beim Reden nach Erklärungen und Verstehen zu suchen. »Es ist, als ob ich auf irgendeine Weise von der Notwendigkeit erlöst sei, jederzeit leise aufzutreten, jede Bewegung zu beobachten und jedes Wort abzuwägen.«
»Du bist nicht davon erlöst«, erwiderte Kit grob. »Die Folgen des Vergessens mögen an diesem Ort andere sein, aber sie sind nicht weniger mächtig.« Sie bei den Schultern fassend, drehte er sie zu sich herum. »Und ich warne dich in aller Form, Annabel Spencer. Wenn du mich jemals wieder auf diese Weise in Verlegenheit bringst, dann werde ich diese Erfahrung im vollem Maß an dich zurückgeben, uneingeschränkt und öffentlich.«
Ein Moment des Schweigens trat ein, in dem sie beide die Auseinandersetzung, ihre Ursachen und was noch dahinter verborgen lag, in sich wälzten.
»Trink einen Brandy«, schlug Annabel plötzlich vor. »Vielleicht hilft er dir, weniger wütend zu sein.«
»Ich dachte, ich sollte das Teufelsgebräu meiden«, sagte Kit.
»Nur es nicht übertreiben«, erklärte sie. »Wirst du mir erzählen, was sich heute abend ereignet hat?«
Er lieferte einen gewissenhaften Bericht und sparte auch seine überraschende Beförderung nicht aus; die Dinge begannen gerade wieder sich zwischen ihnen einzurenken, als der Türklopfer ertönte.
»Wer ist das?« Annabel klang nicht besonders erfreut über eine Störung zu einem Zeitpunkt, wo das Gleichgewicht noch ein wenig zerbrechlich war.
»Ich nehme an, es sind Colin und Bob.« Kit stand auf und runzelte die Stirn. »Ich habe sie eingeladen, mit uns zu Abend zu essen. Und wenn du uns Gesellschaft leisten möchtest, dann wirst du dich verdammt noch mal für diese Szene entschuldigen. Sie haben sie gründlich mißbilligt.«
Er ging zur Tür. »Kommt rein. Colin, du kennst Miss Spencer noch nicht, nicht wahr?«
»Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Hauptmann Mackenzie verbeugte sich höflich vor der bewegungslosen Gestalt, die am Kamin
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