Jaeger
Franks bedachte ihn mit einem langen und durchdringenden Blick.
»›Was habe ich getan?‹ Sind Sie sicher?«
Mickey nickte.
»Das könnte doch alles Mögliche bedeuten«, wandte Anni ein. »Vielleicht hat sie sich Vorwürfe gemacht, weil sie dachte, sie hätte – was weiß ich – den Herd angelassen oder so.«
»Hat sie Ihnen gegenüber etwas Derartiges erwähnt?«
»Nein«, musste Anni eingestehen. »Nichts.«
»›Was habe ich getan?‹ …« Franks grübelte. Dann fixierte er die beiden Polizeibeamten. »Sie arbeiten schon länger mit ihr zusammen als ich. Wie schätzen Sie die Sache ein?«
»Wollen Sie damit etwa sagen, dass Sie sie verdächtigen?«, fragte Anni zurück. »Sie glauben, sie hat absichtlich ihre eigene Familie in die Luft gesprengt?«
Franks hob die Schultern. »Wäre sie zu so was fähig?«
»Nein«, antwortete Anni. »Ausgeschlossen.«
Mickey pflichtete ihr bei.
Franks nickte. »Flucht ist immer ein Schuldeingeständnis.«
»Nicht immer, Sir. Nur meistens«, widersprach Mickey.
»In neunzig Prozent aller Fälle«, versetzte Franks. »In diesem Fall haben wir keinen anderen Anhaltspunkt. Und da sie nicht hier ist, können wir sie auch schlecht danach fragen.«
Während Franks’ Blick kurz durch den Flur schweifte, bekam Mickey den Eindruck, dass der DCI ähnlich über das Warten in Krankenhäusern dachte wie er selbst.
»Gut. Trotz allem ist der Fall nach wie vor Angelegenheit der Polizei in Suffolk, und wir sollten ihnen nicht in die Quere kommen. Sie untersuchen, was genau im Cottage passiert ist, und sie fahnden nach der Tochter. Aber …« Franks deutete auf Mickey. »Ich möchte, dass Sie nach Marina suchen. Auch wenn es uns vielleicht schwerfällt, den Tatsachen ins Auge zu sehen, momentan ist sie unsere einzige Spur, und sie ist geflüchtet, insofern hat sie einige Fragen zu beantworten, würde ich sagen.« Dann wandte er sich an Anni. »Bleiben Sie fürs Erste hier. Mal sehen, was Phil Brennan oder seine Mutter zu berichten haben, wenn sie wieder zu Bewusstsein kommen.«
Die drei verfielen in Schweigen. Keiner wagte es, statt des »wenn« ein »falls« zu denken.
»Ich rufe derweil DS … James an?«
Mickey nickte.
»James, gut. Mal sehen, ob er den Augenzeugen noch einmal vernehmen kann. Vielleicht findet er weitere Einzelheiten heraus.«
»Sie«, sagte Mickey.
»Was?«, fragte Franks.
»Sie«, wiederholte Mickey und räusperte sich. » DS James ist eine Frau.«
Er spürte Annis Blicke auf sich und wagte nicht, sie anzusehen.
»Also gut, von mir aus auch eine Sie.« Franks blickte den Flur hinab, dann wandte er sich ihnen wieder zu. »Irgendwo da unten«, sagte er rau, »ist ein OP . Und in diesem OP versuchen Chirurgen gerade, das Leben eines meiner besten Männer zu retten. Ich bin noch nicht lange bei Ihnen, aber das heißt nicht, dass ich nicht auf Anhieb einen guten Polizisten erkenne. Das sind Sie alle: verdammt gute Polizisten. Und ich kann es mir nicht leisten, auch nur auf einen Einzigen von Ihnen zu verzichten.«
Mickey und Anni schwiegen.
»Also, finden Sie raus, wer das getan hat. Die Explosion war kein Unfall. Wir fahnden nach einem Mörder. Und ich werde dafür sorgen, dass derjenige, der für die Tat verantwortlich ist, ganz egal, wer – und ich meine, ganz egal, wer –, gefasst und bestraft wird. Er hat einen Fehler gemacht. Er hat einen von uns ins Visier genommen.« Er legte Mickey und Anni die Hand auf die Schulter. »Einen von uns. Das werden wir ihm nicht durchgehen lassen.« Er straffte den Rücken und ließ die Hände sinken. »Also los, an die Arbeit.«
Mehr musste er nicht sagen.
Sie drehten sich um und gingen.
17 Mit seinem Satteldach, dem nichtssagenden Anstrich und den unzähligen Reihen winziger Fenster, die so aussahen, als ließen sie sich kaum öffnen, glich das Hotel von außen eher einer Haftanstalt. Das Einzige, was fehlte, waren die Backsteinmauern und die mit Stacheldraht gespickten Zäune.
Die Frauenstimme des Navigationssystems teilte Marina in überdeutlicher Aussprache und der ihr eigenen unerschütterlichen Ruhe mit, dass der Bestimmungsort erreicht sei. Marina bog auf den Parkplatz ein, stellte den Motor ab und blieb ratlos im Wagen sitzen.
Unterwegs war die Hoffnung in ihr aufgekeimt, dass sie am Ziel ihrer Fahrt etwas anderes erwartete. Dass alles ein Ende haben würde. Dass sie ihre Tochter wiedersehen und gemeinsam mit ihr nach Hause fahren könnte. Sie wusste, dass diese Hoffnung leichtfertig
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