Jaeger
Einstellung. Wenn Sie sich an die Regeln halten, geht alles viel schneller über die Bühne.«
Erneut hatte Marina das Gefühl, als würde sie von Bleigewichten unaufhaltsam in die Tiefe gezogen.
»Essen Sie zu Abend. Schlafen Sie sich aus. Frühstücken Sie. Und eine Dusche, ich empfehle Ihnen dringend eine Dusche. Morgen geht die Arbeit nämlich erst richtig los.«
Marina schloss die Augen. Sie fühlte sich wie in einem Käfig gefangen, war wie gelähmt, konnte sich nicht von der Stelle bewegen.
»Und, Marina … kommen Sie nicht auf Idee abzuhauen. Oder Ihre Freunde bei der Polizei anzurufen. Oder irgendjemandem im Hotel zu verraten, was los ist. Wir beobachten Sie. In jeder Sekunde.«
Die Leitung war tot.
Marina warf das Handy zurück auf den Beifahrersitz. Nicht im Zorn, sondern aus Verzweiflung. Dann hob sie es wieder auf und steckte es in ihre Handtasche.
Sie stieg aus dem Wagen und machte sich auf den Weg zum Hoteleingang.
Sie stellte sich auf eine schlaflose Nacht ein.
18 Die Sporthalle gehörte einer aussterbenden Art an. Dasselbe galt für die Männer, die darin trainierten.
Der Eingang lag in einer heruntergekommenen Gasse in Bethnal Green im Osten Londons. Die Straßen ringsum waren einer schleichenden Gentrifizierung anheimgefallen, da ein Teil der wohlhabenden Hippie-Bourgeoisie, junge Bohemiens und Angestellte aus der City, sich zu furchtlosen Entdeckern des Großstadtdschungels erklärt und in der näheren Umgebung Häuser aufgekauft hatten. Bislang hatte die Straße, an der das Sportstudio lag, dem Eroberungszug standgehalten, doch bröckelnde Ziegel und steigende Mieten waren untrügliche Anzeichen dafür, dass auch ihre Stunde bald schlagen würde. Nicht mehr lange, und die Sporthalle mit ihren nackten, kondenswasserfeuchten Backsteinwänden und den abgezogenen, von jahrzehntealtem Schweiß durchtränkten Bodendielen würde der Vergangenheit angehören. Vielleicht würde eine Werbeagentur in die Räumlichkeiten einziehen. Eine PR -Firma. Oder ein Coffeeshop.
Der Boxring war gerade in Benutzung. Zwei magere Jugendliche in Turnhemden und Shorts, Köpfe und Fäuste gut gepolstert, tänzelten hochkonzentriert umeinander herum. Ihr Trainer rief ihnen von jenseits der Seile Anweisungen zu. An einer Seite der Halle wurden Gewichte gestemmt und Sandsäcke bearbeitet. Jungen und Männer, deren Hautfarbe von teigigem Weiß bis hin zu sattem Dunkelbraun reichte, trainierten einträchtig nebeneinander. Streitereien gab es keine. Die Art, wie sie hier ihre Aggressionen abreagierten, verband sie.
Dies galt jedoch nicht für den Keller. Bis dorthin drangen die Mitglieder des Boxclubs nie vor, und dazu gab es für sie auch gar keinen Grund. Im Keller herrschte eine andere Form der Aggression. Hier gab es keine Zurückhaltung, keine Regeln. Nur einen schalldichten Raum, den man mieten konnte, um Rechnungen zu begleichen oder Schulden zu bezahlen. Gegen eine gewisse Gebühr.
Das erfuhr Mike Dillman nun auch. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Lisa ein Biest war. Deswegen hatte er sie geheiratet. Sie war laut und hatte Feuer. Geriet schnell in Rage und war stets bereit zuzuschlagen. Das liebte er so an ihr, denn genau diese Eigenschaften waren es, die jeden Fick mit ihr zu einem einmaligen Erlebnis machten. Allerdings gab es auch eine Schattenseite: Sie war unfassbar eifersüchtig. Er musste eine andere Frau nur ansehen, schon brannten bei ihr die Sicherungen durch. Und Mike hatte mehr getan, als andere Frauen bloß anzusehen. Oft. Nun saß er auf einem Stuhl in der Mitte des besagten Kellerraums und wünschte sich, er hätte seine Augen und Hände bei sich behalten.
Er fühlte sich wie tot. Die Arme waren ihm hinter dem Rücken gefesselt, die Füße an den Stuhlbeinen festgebunden. Sein Hemd war offen. Blut lief ihm übers Gesicht, und sein Körper schmerzte, als hätte ihn jemand ans Stromnetz angeschlossen.
Vor ihm stand Lisa und schwitzte. An ihren Fingerknöcheln blinkte schweres, blutiges Metall. Sie war außer Atem, und in ihren Augen lag ein wilder Glanz. Sie sah wunderschön aus, das musste er ihr lassen.
Hinter ihr saß ein Mann im Anzug gelangweilt auf einem Stuhl. Er hatte ein aufgeschlagenes Pornoheft auf den Knien liegen und schaute auf seine Armbanduhr.
»War’s das jetzt?«, fragte er. »Bist du fertig?«
Lisa schüttelte den Kopf und warf einen Blick zur Uhr an der Wand. »Noch eine Viertelstunde. Ich hab den vollen Preis bezahlt, jetzt will ich die Zeit auch ausnutzen.«
Der
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