Jaeger
rasen, und in seiner Angst schüttete sein Körper Adrenalin aus, das die Schmerzen kurzfristig betäubte und ihm die Kraft zum Aufstehen gab. Er angelte sich seinen Bademantel vom Haken an der Tür, bekam ihn jedoch nicht richtig zu fassen, so dass er auf den Boden fiel.
Schritte auf der Treppe. Schwer, aber leise. Nein, das war ganz bestimmt nicht Helen.
Er ging in die Hocke, um den Bademantel aufzuheben, aber seine Finger gehorchten ihm nicht. Sie streiften den Rand des Laptops. Schoben ihn weiter unters Bett. Den würde niemand in die Finger bekommen. Niemand.
Die Schritte verstummten draußen vor der Schlafzimmertür. Hibbert hielt den Atem an. Die Tür wurde geöffnet.
Hibberts Blick wanderte an den riesigen Beinen des Eindringlings empor, über den muskulösen Oberkörper und die dicken Arme bis hin zum geschorenen Kopf. Leere Augen schauten auf ihn herab.
Es war, als stünde er Frankensteins Monster gegenüber.
»Raus hier …« Hibbert hatte weder genug Luft, um laut zu sprechen, noch die Kraft, seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
Der Eindringling musterte ihn.
»Ich weiß … wer Sie sind«, keuchte Hibbert. »Ich weiß … was Sie wollen.«
Der Eindringling streckte den Arm aus und zog Hibbert vom Fußboden hoch. Die Schmerzen wurden unerträglich. Hibbert schrie gellend auf und versuchte den Arm des Mannes zu packen, damit dieser ihn losließ. Es war, als ringe er mit einem Betonpfeiler. Der Mann hatte sogar dieselbe Farbe. Grau. Wie Beton. Die Haut eines Toten.
Hibbert wusste, wer dieser Mann war. Und auf dem Fuße dieser Erkenntnis folgte die nächste: Ich werde sterben.
Jeden Augenblick.
Er lachte. Sein Lachen hörte sich ebenso zerschlagen an wie der Rest seines Körpers es war. »Sie … Sie können mich nicht töten. Ich … bin bereits ein toter Mann …«
»Ja, aber ein toter Mann, der mir noch was zu sagen hat. Was zu geben.« Die Stimme des Riesen passte zu seiner Haut. Hart. Leblos.
»Ich hab … Ich hab nichts …«
Der Golem schnitt ihm das Wort ab. »Wo ist er?«
Hibbert wollte Zeit schinden, doch seine Augen verrieten ihn, als sie unwillkürlich zum Bett schweiften.
Der Golem bemerkte es. »Hol ihn her.«
Er lockerte seinen Griff, und Hibbert sackte auf dem Bett zusammen. Mit seinem abgemagerten Leib und dem schmutzigen, verschwitzten Schlafanzug sah er aus wie ein Bündel Lumpen. Er starrte zum Golem empor, und seine Augen brannten. Ein letzter Akt des Widerstands.
»Hol ihn dir doch selber.«
Der Golem bückte sich und zog den Laptop unter dem Bett hervor. Dann fixierte er Hibbert. »Passwort?«
Statt einer Antwort ließ Hibbert erneut sein kaputtes Lachen hören.
Gleich darauf nahmen die Schmerzen in seinem Körper unvorstellbare Ausmaße an. Der Golem hatte ihn gepackt und bohrte die Finger unter seine Rippen, um Druck auf seine kranken Lungen auszuüben. Hibbert spürte, wie eine Rippe brach. Dann die zweite. Der Druck der Finger wurde stärker.
Hibbert schrie, wie er noch nie zuvor in seinem Leben geschrien hatte.
»Passwort«, wiederholte die tote Stimme.
»Helen …« stieß er hervor. Die Schmerzen ebbten auf ein halbwegs erträgliches Maß ab.
Hibbert ließ den Kopf hängen. Er hatte sich in die Hose gemacht. Er wusste, dass dies das Ende war. Zorn regte sich in ihm. Auf sich selbst. Auf Helen. Auf dieses ganze verdammte stinkende Scheißleben. Er spürte, wie ihm Tränen übers Gesicht liefen.
»Das … So sollte es nicht … nicht enden … Es sollte … überhaupt nicht enden.« Er schluchzte. »Helen … Helen, es … es tut mir leid …«
Den Laptop unter dem Arm, streckte der Golem die freie Hand aus.
»Das ist nicht … nötig … Ich bin … Ich bin … doch sowieso ein toter Mann …«
Das Knacken war leise, fast zärtlich. Hibbert brach auf dem Bett zusammen. Der Golem sah auf ihn hinab.
» Jetzt bist du ein toter Mann.«
Im Haus war alles still und dunkel. Als hätte dort nie jemand gelebt.
24 Mitternacht. Karfreitag wurde zu Ostersamstag. Und DC Anni Hepburn war immer noch im Krankenhaus.
»Sie sollten nach Hause gehen, Anni«, hatte Franks ihr geraten, »und ein bisschen schlafen. Jemand kann Sie ablösen.«
Sie hatte mit einem matten Lächeln geantwortet. »Ich weiß, Boss, aber morgen bin ich ja sowieso wieder hier. Auf diese Weise spare ich mir wenigstens die Fahrt über die A 14 .«
»Die Straße zur Hölle«, hatte Franks lächelnd erwidert. »Also schön. Aber denken Sie daran, es ist nicht unser Fall.
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