Jäger der Dämmerung
bisschen Freiheit zu bekommen, aber er fand sie.
Jetzt war er wieder da und trieb seine kranken Spiele mit ihr.
»Was ist eigentlich in Sie gefahren?«
Fragend wandte sie sich zu dem zornigen Antonio um, hinter dem die Verandabeleuchtung strahlte. Er hatte die Arme vor dem Oberkörper verschränkt und betrachtete sie kopfschüttelnd. »Sie rufen einen Zivilisten her, ehe Sie die Polizei verständigen?«
»Er ist derselbe Zivilist, den Sie vorhin ebenfalls riefen«, erinnerte sie ihn. Welche Wahl hatte sie denn gehabt? Überhaupt ließ ihr der Widerling wenig Möglichkeiten. Soweit sie informiert war, wusste die Polizei nicht mal von Anderen .
Folglich konnten sie gar nicht gegen einen Übernatürlichen ermitteln, der die Grenze übertreten hatte und zum Psychopathen mutiert war.
»Das hier ist was anderes! Das ist …«
»Mein Leben«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich weiß, dass es nicht dem Protokoll entsprach, aber hier haben wir keinen alltäglichen Einbruch mit Vandalismus.«
Er schnaubte. »Glauben Sie mir, Blut an der Wand ist nie alltäglich.«
Wohl wahr. Erin atmete tief durch, um ihre Angst und ihre Wut zu bändigen. Antonio bekam ihren geballten Zorn ab, obwohl er ihr im Grunde schon einen Gefallen tat, indem er seine Leute anwies, sich ohne Pauken und Trompeten zu nähern.
Die Verandadielen knarrten, als er näher kam. »Seit wann ist der Kerl hinter Ihnen her?«
Sie schluckte. »Seit einem Jahr.« Vielleicht länger. Schwer zu sagen. Ihr erstes »Geschenk« hatte sie vor fast zwölf Monaten bekommen. Aber sie hatte sich einiges über Stalker und deren Verhalten angelesen und wusste, dass sie ihre Opfer oft über Monate oder gar Jahre beobachteten, ehe sie aktiv wurden.
»Haben Sie gedacht, Sie werden ihn los, indem Sie weglaufen?«
Jude hatte ihm ihre Situation geschildert; besser gesagt: Er hatte Antonio erzählt, was sie ihm erzählt hatte. Erin hatte nicht alles verraten. Noch nicht.
Sie konnte es nicht.
»Ja, das hatte ich gehofft«, antwortete sie.
Er machte noch einen Schritt auf sie zu, so dass sie sein Eau de Cologne riechen konnte. Er trug es immerzu. Nicht zu aufdringlich, aber …
Da war noch ein Duft, ein schwererer, der sie plötzlich umfing.
Gestaltwandler.
Erin blickte nach rechts, gleich über Antonios Schulter und sah Jude, der sie von der offenen Tür aus beobachtete.
Ein feuriger Ausdruck lag in seinen Augen. Wut?
Verlangen.
»Deine Leute arbeiten fleißig«, sagte Jude, der zu ihnen geschlendert kam.
Antonio zuckte kaum merklich zusammen und wich von Erin zurück. »Sie sind die besten, die ich habe, und sie wissen, wann Diskretion angezeigt ist.«
Dann wussten sie von den Anderen ? Oder waren sie selbst welche?
Jude stellte sich neben Erin, so dass sein Arm ihren streifte und ein wenig von der Kälte vertrieb. Ein praktisches Talent.
»Es ist menschliches Blut.«
Der Polizist nickte. »Du musst es ja wissen.«
Ja, musste er.
»Dieser Kerl scheint ziemlich spitz auf unsere Staatsanwältin zu sein.«
Antonio war nicht unbedingt für sein Taktgefühl bekannt. Erin zog eine Braue hoch und schaffte es, nicht mit den Zähnen zu knirschen.
»Er hat Sie quer durch den Bundesstaat verfolgt«, fuhr Antonio fort. »Offensichtlich will er sich nicht zurückziehen.«
»Wir bringen ihn dazu, dass er sich zurückzieht«, knurrte Jude.
Antonios dunkle Augen richteten sich auf Jude. »Nimmst du die Sache persönlich?«
Jude antwortete nicht. »Schick Streifen her, die diese Straße besonders gründlich überwachen.«
Erin lachte und bemerkte selbst, wie verzweifelt es klang. »Ein Streifenwagen wird ihn nicht aufhalten. Er ist ein Anderer , und er ist verflucht stark.« In Momenten wie diesem fürchtete sie, dass ihn nichts und niemand aufhalten konnte.
Sie jedenfalls hatte es nicht gekonnt. Nicht in jener Nacht, jener kalten Nacht, als er sie in ihrem Schlafzimmer erwischte, seine Krallen in ihre Arme bohrte, sie aufs Bett drückte und …
Nein!
Nie wieder wollte sie daran denken.
»Erzähl uns alles, was du über ihn weißt«, sagte Jude. Die Kriminaltechniker waren noch drinnen und sicherten Beweise. Wühlten sich durch ihr Leben. Sie hörten nicht, was hier draußen gesprochen wurde. Einzig Jude und der Cop, dem er zu vertrauen schien.
Könnte sie doch bloß mehr Vertrauen haben! Aber außer ihrem Vater hatte sie noch nie jemand anderem wirklich vertraut.
Wenn man eine Menge zu verlieren hatte, war Vertrauensseligkeit ein dämlicher Fehler. Man konnte sich
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