Jäger der Macht: Roman (German Edition)

Lokomotivführer. Er war ein schwerer Mann mit einem dunkelbraunen Bart und einer flachen Kappe auf dem Kopf. » Sonst droht Ihnen Gefahr von den Verschwindern. Wir müssen den Zug bis mitten in die Stadt bringen. Wir dürfen uns keine Verspätung leisten.«
    » Aber Ihre Wunde, Herr!«
    » Sie ist nicht so schlimm«, sagte Waxillium. Im Rauland war er oft Tage oder gar Wochen mit einer Verletzung herumgelaufen, bevor sich ein Arzt darum kümmern konnte.
    » Wir …«
    Die Tür flog auf, und Marasi stolperte herein. Ihr blaues Kleid war noch immer von der Explosion in seinem Haus angesengt, aber sie trug es mit Würde, auch wenn die Spitze hier und da unter dem glänzenden Stoff hervorlugte. An der blauen Weste fehlten ein oder zwei Knöpfe, die vermutlich beim Sturz abgerissen waren. Das war ihm bisher noch nicht aufgefallen.
    Als sie die blutige Bandage sah, hielt sie die Hände vor den Mund, dann wurde sie so rot wie eine Tomate, da sie bemerkte, dass er sein Hemd ausgezogen hatte. Es verschaffte ihm einen kurzen Augenblick des Stolzes, dass er trotz der grauen Strähnen in seinem Haar noch immer die geschmeidigen Muskeln eines wesentlich jüngeren Mannes hatte.
    » O Einfältiger!«, sagte sie. » Geht es Ihnen gut? Ist das Ihr Blut? Darf ich überhaupt hier sein? Ich kann auch wieder gehen. Ich sollte vermutlich gehen, oder? Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?«
    » Er wird’s überleben«, sagte Wayne, der hinter ihr den Kopf hereinsteckte. » Was hast du denn gemacht, Wax? Bist du auf dem Weg aus dem Waschraum gestolpert?«
    » Miles hat mich gefunden«, sagte Waxillium und nahm den Verband ab. Es hatte den Anschein, dass die Blutung inzwischen gestillt war. Er nahm von einem der Lehrlinge einen weiteren Verband entgegen und machte sich bereits daran, ihn anzulegen.
    » Ist er tot?«, fragte Marasi.
    » Ich habe ihn schon mehrmals getötet«, sagte Waxillium, » doch das hat genauso wenig gewirkt wie bei allen anderen, die es vorher versucht haben.«
    » Du musst ihm seine Metallgeister abnehmen«, sagte Wayne. » Das ist die einzige Möglichkeit.«
    » Er hat dreißig verschiedene«, entgegnete Waxillium. » Alle durchdringen seine Haut und haben so viel Heilkraft, dass es ihn praktisch unverwundbar macht.« Ein Weißblecharm oder sogar ein kleinerer Blutmacher wie Wayne konnte durch einen Kopfschuss getötet werden. Miles’ Wunden verheilten jedoch so schnell, dass sogar dies ihn nicht umzubringen vermochte. Es hieß, dass er seine Heilkräfte beständig anzapfte. Waxillium wusste von dieser Gabe des Mischens, dass es sehr gefährlich war, es wieder einzustellen, nachdem man es einmal begonnen hatte.
    » Das klingt wie eine Herausforderung!«, sagte Wayne.
    Marasi blieb noch einen Moment lang in der Tür stehen, dann hatte sie offenbar eine Entscheidung getroffen und stürmte nach vorn. » Ich möchte die Wunde sehen«, sagte sie und kniete sich neben Waxilliums Bank.
    Er runzelte die Stirn, hörte aber auf, die Bänder zusammenzuknoten und ließ es zu, dass sie den Stoff zurückschob. Sie betrachtete die Wunde.
    » Kennen Sie sich mit ärztlicher Heilkunde aus, Herrin?«, fragte der Lokomotivführer und trat dabei vom einen Bein auf das andere. Ihre Anwesenheit im Zimmer schien ihn etwas nervös zu machen.
    » Ich gehe zur Universität«, sagte sie.
    Das stimmt, dachte Waxillium.
    » Und?«, fragte Wayne.
    Marasi zeigte auf die Wunde. » Die Universitätsregeln, die vom Einträchtigen selbst erlassen wurden, diktieren eine umfassende Ausbildung.«
    » Ja, ich weiß, dass auch Mädchen zugelassen sind«, meinte Wayne.
    Marasi hielt kurz inne und sagte dann: » Nein, so habe ich das nicht gemeint, Wayne.«
    » Die Studenten erfahren erst einmal von allem ein wenig«, erklärte Waxillium. » Erst dann dürfen sie sich spezialisieren.«
    » Das schließt auch die Grundsätze der Medizin ein«, sagte Marasi. » Und Kurse in Anatomie.«
    Wayne runzelte die Stirn. » Einen Augenblick. Anatomie. Das heißt, alle Teile der Anatomie.«
    Marasi errötete. » Ja.«
    » Also …«
    » Also war es in meiner Klasse sehr beliebt, meine Reaktionen zu beobachten«, sagte sie verlegen. » Darüber möchte ich lieber nichts mehr sagen, Wayne. Diese Wunde muss genäht werden, Waxillium.«
    » Können Sie das?«
    » Äh … ich habe das noch nie bei jemandem gemacht, der noch lebt.«
    » Hm«, meinte Wayne. » Ich habe viele Monate mit meinen Duellstäben an Puppen geübt, bevor ich meinen ersten Menschen