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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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würde. Der gleiche magere Körper, kaum Muskeln und weite Flächen unbehaarter Haut. Sogar ihre Schwänze glichen sich. Wenn er Lenny küßte, war es ihm, als ob er einen Spiegel küssen würde.
    Bei Sam hatte er das erregende Gefühl gehabt, sich körperlich und seelisch einem Mann, einem anderen Menschen hinzugeben.
    So schön auch der Sex mit Lenny war, er ließ ihn sich nach Sam sehnen.
    Wieder blieb er an einer Telefonzelle in der Houghton Street stehen. Wieder wählte er die Nummer. Wieder antwortete niemand. Vielleicht hatte er die Stadt verlassen. Vielleicht war ihm was zugestoßen – krank – von den Bullen hops genommen – im Park zusammengeschlagen. Die Bilder glitten durch seinen Kopf wie Schlangen. Wo war Sam?
    «Ich hab’ angerufen, Mutti! Ich hab’ dich vor ‘ner halben Stunde angerufen.»
    Millie starrte Kevin, der am Küchentisch saß, aus roten Augen an. «Haste nicht!» Sie wischte sich die Nase mit dem Handrücken.
    «Und ich steh’ hier rum, warte und warte, und weiß nicht, wo du steckst. Hab’ schon gedacht, du bist ertrunken oder vom Bus überfahren oder sonst was.»
    «Ich hab’ dich angerufen, Mutti. Aber du hast nicht zugehört.» Millies Stimme schraubte sich zu einem Wimmern hoch. «Erzähl mir bloß nicht, ich hör’ nicht zu oder so! Ich weiß schon, wenn ich zuhör’ oder nicht! Und ich hab’ nicht zugehört, weil du nichts gesagt hast, klar?» Sie nahm einen Schluck von ihrem Drink.
    «Nichts. Nichts hab’ ich von dir seit gestern früh gehört. Ich schwör’, ich weiß nicht, was ihr zwei Jungs euch rumtreibt. Dennis ist auch irgendwo unterwegs. Keine Ahnung, wo. Hab’ ihn den ganzen Tag nicht gesehen. Und du... dich sieht man gar nicht mehr!» Tränen schossen ihr in die geröteten Augen. «Und ich hab’ mir das so schön vorgestellt, wir alle zusammen nach all der langen Zeit! Davon hab’ ich im Krankenhaus geträumt, und es hat mir geholfen, gesund zu werden, allein der Gedanke, meine kleinen Jungs wieder bei mir zu haben, wenn ich rauskomme. Und nun geht alles schief!»
    Kevin verlor seine Beherrschung. «Schon gut! Warum rufst du nicht Miss Gotter an und sagst ihr... sagst ihr, daß alles schief läuft?»
    Millie schauderte zusammen. «Nein. Das kann ich nicht tun. Ich bin deine leibliche Mutter. Es muß einfach gut gehen, weil ich deine leibliche Mutter bin. Du bist von meinem Blut!» Und dann strömten die Tränen.
    Millie saß zusammengesunken auf einem Stuhl an der anderen Seite des Küchentisches, und ihr knochiger Körper wurde von Tränenkrämpfen geschüttelt. «Ich hab’ immer darüber nachgedacht, all die Zeit, die ich im Krankenhaus war.» Durch den Schleier von Tränen nahm sie Kevin kaum wahr. «Du weißt, wie das ist... wenn man hofft?»
    Kevin dachte an Sam. Er dachte an die Mirabelle und an das Land, wo Milch und Honig fließen. Dann kamen seine Tränen, und er eilte um den Tisch, umarmte Millie liebevoll und legte seinen Kopf in ihren Schoß.
    Ihre Stimme kam wie ein Peitschenknall. «Wo haste die Schuhe her?»
    Kevin schoß hoch, immer noch zitternd vor Schluchzen, und trat einen Schritt von diesem elenden Häufchen Frau zurück. «Was kümmert’s dich?»
    «Mich kümmern? Haste denn jemand anders, der sich um dich kümmert? Ja, ich kümmere mich!» Sie nahm wieder einen Schluck von ihrem Drink. «Ich frage dich: Wo hast du diese Schuhe her?»
    «Ich war mit Johnny zusammen.»
    «Wer ist Johnny?»
    «Ein Freund von mir... ein Freund von der Schule.»
    «Ja? Hat Johnny sie dir gekauft?»
    Kevin wußte einen Moment nicht, was er sagen sollte. «Nein. Aber... aber seine Leute haben Geld. Und... sie haben ihm ein Paar Schuhe gekauft, und sie haben mir auch dies Paar gekauft.»
    «So, wir sind dir wohl nicht gut genug, was? Da bettelste also andere Leute an, dir Schuhe zu kaufen?»
    «Ich hab’ um nichts gebettelt! Sie haben sie mir geschenkt, verstehste? Und wenn du nicht das ganze Geld für Schnaps ausgeben würdest, hätt’ ich sie mir nie von ihnen kaufen lassen!»
    Millie heulte schrill auf und schmiß ihr Glas nach ihm. Sie traf daneben, und das Glas zersplitterte in der Spüle. Kevin ergriff die Flucht und rannte die Treppen zu seinem Zimmer rauf. Er zog seine Schuhe aus, warf sich aufs Bett und starrte mit tränennassen Augen auf das Muster von Dächern und Baumwipfeln vor seinem Fenster. Er wollte nichts lieber, als zu Sam zurückzukehren.
    War es das? War es das, was er war? War es das, was er immer sein würde? Und niemals

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