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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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jemanden. Ist dir das bewußt? Nicht mich, aber irgendjemanden.»
    «Was bringt dich zu diesem Schluß?»
    «Ich hab’ dich beobachtet. Deshalb. Dein Ex‐Liebhaber hat dich beobachtet...»
    «Und was hat der Ex‐Liebhaber entdeckt?»
    Amory wurde orakelhaft. «Daß deine Ruhe nicht das Wahre ist.» Bruce schnaubte verächtlich. «Heißblütig zu sein, ist aber auch nicht das Wahre.»
    «Oho, aber ich kenne dich. Ich bin mit dir im Bett gewesen, du erinnerst dich? Du bist heißblütig. Du bist sogar sehr heißblütig. Du kannst Nummern abziehen, von denen ich kaum geglaubt habe, daß sie möglich sind. O ja.» Ein kleiner Rülpser. «Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich.» Mit einem tiefen Seufzer sackte Amory zusammen und legte seinen Kopf auf Bruces Schulter.
    Nachdem Bruce Amory in dessen Wohnung verfrachtet hatte, schlug er den Heimweg ein. Er versuchte sich einzureden, daß er von Amorys rührseliger Erinnerung an die Vergangenheit genug hatte, aber, wieder allein im Wagen, funktionierte dieser Schutzschild nicht allzu gut. Amory und er hatten sich früher einigen wahrhaft orgiastischen Stimmungen hingegeben, und bei dem bloßen Gedanken daran bekam er eine Erektion.
    Aber als er darüber nachdachte, wurde ihm klar, daß die völlige Hingabe in ihrem Liebesspiel irgendwie beeinflußt und verstärkt wurde durch die Tatsache, daß es in der Wohnung seiner Familie stattfand – eine Wohnung, die vollgestopft mit Erbstücken war und erst durch den Tod seiner Mutter seine eigene wurde. Wenn er und Amory sich auf dem Diwan wälzten, dann hatte er sich an seine stocksteifen Tanten erinnert, die auf demselben Platz gesessen hatten. Wenn sie quer durchs Wohnzimmer getobt waren, dann hatten seine Vorfahren sie von den Wänden herab angestarrt. Das Himmelbett, in dem sein Großvater gestorben war, hatten sie in ihrer Wildheit zum Erbeben gebracht. Bruce gefiel sich irgendwie darin, gegen die geheiligten Grundsätze seiner Familie zu verstoßen. Mit diesem geradezu unanständigen Aufstand versuchte er, sich von den Anstandsregeln seiner Familie zu befreien, und manchmal glaubte er, es fast geschafft zu haben. Aber wenn Amory gegangen war, schien ihn die Vergangenheit wieder mit den Klauen ihrer Wohlanständigkeit an sich zu reißen.
    Mit der Verzweiflung eines Gefangenen dachte er daran, auch das letzte Stückchen Ererbtes zu verkaufen, die ganze Wohnung weiß zu streichen und nur unauffällige moderne Möbel zu kaufen. Aber er konnte sich nicht dazu überwinden. Sogar in dieser Nacht, nachdem er Amory abgesetzt hatte, saß er vor dem Haus in seinem Wagen und haßte die lockende Stille, in die er nun eintreten sollte.
    Einmal, nur einmal seit er sich von Amory getrennt hatte, hatte sich seine stumme Verzweiflung in Nichts aufgelöst, und zwar an dem Abend, den er mit diesem jungen Stricher verbracht hatte, Kevin. Es hatte andere gegeben, zahlreiche andere, die er in der Hafenstraße zum Ritual des gegenseitigen Gebens und Nehmens abgeschleppt hatte, und es hatte im Verlauf dieser Rituale durchaus erregende Momente gegeben. Aber Kevin hatte etwas Besonderes an sich, was er noch bei keinem anderen gefunden hatte. Seine Augen strahlten eine eindrucksvolle Zuverlässigkeit aus. Und gleichzeitig eine verlockende Verspieltheit, ausgedrückt von einem schüchternen Grinsen.
    Warum war er so schnell gegangen? Warum hatte Bruce ihn nicht bekniet wiederzukommen? Er hatte es ja, redete er sich ein, aber vielleicht hatte er ja nicht die richtigen Worte gefunden, irgendetwas Magisches, das ihn zurückgebracht hätte.
    Wo war er jetzt? Hafenstraße? Nein, er hatte gesagt, daß er dort nie wieder hingehen würde. Aber diese Feststellung konnte natürlich eine jugendliche Übertreibung oder Teil einer aufgeputschten Schwärmerei sein. Vielleicht war er jetzt da und wartete darauf, einem anderen Freier dieselbe Geschichte zu erzählen. Oder vielleicht war er auch nur da, weil er Geld brauchte.
    Bruce sah in seiner Brieftasche nach und fand einige Geldscheine. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloß, ließ den Wagen wieder an und fuhr durch die nächtlichen Straßen Richtung Hafenstraße.
    Nachdem Bruce die Hafenstraße ein paarmal auf und ab gefahren war, kam er zu dem Schluß, daß Kevin diesen Abend seinem
    ‹Handwerk› nicht nachging. Vielleicht war es wahr, was der Junge gesagt hatte. Vielleicht hatte er mit dem Strich aufgehört. Aber wie sollte er ihn dann jemals wiederfinden? Bruce fühlte sich plötzlich

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