Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
Vom Netzwerk:
ihm.
    Der brutale Druck auf seinen Schließmuskel jagte einen brennenden Schmerz durch seinen Körper. Mit einem Aufschrei strampelte er sich ab, um aus der Benommenheit auszubrechen, die ihn an den Stein zu ketten schien. Aber auch Hände hielten ihn fest, seine Schultern, seine Beine, als der Schmerz zum Feuersturm wurde. Alle Farben verblichen zu einem sengenden Weiß.
    Mit der verzweifelten Anstrengung aller Kräfte bäumte sich Kevin auf, durchbrach den packenden Griff der Hände, die ihn hielten, riß seine Hose hoch und tauchte in der Dunkelheit unter.
    Er schlich sich zwischen den Grabsteinen hindurch, als er die Stimmen hörte, die ihn riefen – erst von der einen, dann von der anderen Seite. «Hey, Kevin, warum rennste weg?» «Komm zurück, wir erwarten dich hier.» «Kevin, wo steckste?»
    Sie jagten ihn... quer über den Friedhof. Er mußte das Tor erreichen, die einzige Stelle, wo man rüberklettern und herauskommen konnte. Aber er konnte es nicht finden. Er sah nichts außer verrückt leuchtenden Farben. Das pulsierende Rot. Das schnatternde Gelb. Das heimtückische Grün, das wie Schleim über die Erde zu kriechen schien.
    Er sank hinter einem Grabstein zusammen, um sich gegen die schaurigen Farben und die räuberischen Verfolger um ihn herum zu schützen. Sein Körper war von Angst geschüttelt – Angst vor den bedrohlich aufragenden Bäumen über ihm und vor dem bedrückenden, sich ausschüttenden Himmel, der ihn in Blut ertränkte. Er füllte seine Lungen mit der nächtlichen Luft und hielt den Atem bis zum Platzen an, um sich gegen die Flut zu wehren.
    Das Gesicht tauchte über ihm auf, eine Maske aus Rosa und Lila, eine Grimasse wie ein Totenkopf. Die Stimme war krächzend wie die einer Krähe. «Hey, Kevin!» Millies undeutliche Stimme. Er sprang auf die Beine, warf sich gegen die Maske und schlug mit einer Hand gegen die Mundhöhle. Blinder Haß kochte in ihm, als er im Schein einer Straßenlaterne die frettchenhaften Augen grün aufleuchten sah. Dennis. «Du wolltest mich ficken, was?»
    Die Maske verschwand verzerrt. «Jaaaa, du Nutte!»
    Der ganze Himmel wurde zu einem schreienden Rot, vermischte sich mit Kevins Wut. Er donnerte eine Hand gegen die Maske, baute sich über dem Körper auf, der gegen den Grabstein gefallen war und verrenkt am Boden lag und in einem Sing‐Sang die Worte
    «Votze... Votze... Votze» ausspuckte.
    Kevin trat den Körper mit seinen Füßen und stolperte davon in einen Hain aus Licht. Plötzlich umschlossen seine Hände die Gitterstäbe des Tors. Mit aller Kraft, die ihm verblieben war, kletterte er an den eisernen Ornamenten hoch und sprang auf die Houghton Street hinunter – in die Freiheit. Stützend hielt er sich mit einer Hand am Gitter fest, um nicht hinzufallen.
    Dann stieß er sich los und begann schwankend die Straße runterzugehen. Er hatte nur einen Gedanken: «Gallatin House... Gallatin House... Gallatin House...»

15. KAPITEL
     
    Bruce saß in seinem Wohnzimmer in seinem Lieblingssessel; eine Lampe schien ihm knapp über die Schulter, ein Brandyschwenker stand auf dem Beitisch. Bruce las über den Schwarzen Tod.
    Es schien seiner Stimmung angemessen.
    Er war seinem Schwur treu geblieben. Seit Wochen war er nicht mehr in der Hafenstraße gewesen. Er hatte, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ein paarmal den Jefferson Square durchstreift, wohlwissend, daß es gefährlich war, aber niemanden gefunden. Er hatte sich einige Filme angesehen, war mit Charlotte im Sinfoniekonzert gewesen, war mit Amory abends zum Essen ausgegangen und hatte an zwei Abenden im Kaufmannsklub Bridge gespielt. Aber er schlief allein, und das gefiel ihm nicht.
    Er kam zu dem Schluß, daß er sich besser wohl doch daran gewöhnen sollte. Im September würde er 35 werden. Damit wäre das Rennen gelaufen. Einen Steinwurf von 40 und dem Leben als Tattergreis entfernt. Ja, er hatte eine gute Figur, volles Haar noch und fast alle seine Zähne. Aber er hatte auch schon so ein merkwürdiges Ziehen, gelegentliche Krämpfe, und es gab Morgende, an denen er sich nicht dazu aufraffen konnte, aufzustehen.
    Es hatte natürlich eine Zeit gegeben, als er das alles von sich abgeschüttelt hatte, als er regelmäßig die alte Continental Sauna bei seinen Ausflügen nach New York abgegrast hatte; das war so wohltuend für sein Ego gewesen, daß es Wochen vorgehalten hatte. Schon damals war ihm bewußt gewesen, daß seine Zeit ablaufen würde, aber ihm war nicht der Gedanke gekommen, daß es so

Weitere Kostenlose Bücher