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Jäger der Nacht

Jäger der Nacht

Titel: Jäger der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wallace Hamilton
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Sie kramte ein Taschentuch aus der Tasche ihres Kittels hervor und wischte sich die Augen. «Ich habe meinen Lenny verloren. Aber Gott gewährt ihm Sicherheit da draußen auf dem Lande mit einem reinen Leben und den gütigen Dominikanerpatern, auf daß er der Wohlgefälligkeit zugeführt wird.»
    «Er wurde in ein Erziehungsheim fortgeschickt?»
    «Ja.»
    «In ein Knabenerziehungsheim?»
    «Ja. Pfarrer Mooney, gesegnet sei er, hat dafür gesorgt, ihn aus dieser gottlosen Stadt herauszubekommen!»
    Kevin versuchte, feierlich auszusehen. Aber er wußte, daß Lenny letztlich in den Himmel geschickt worden war, und daß kein Junge in der Schule – oder ein gütiger Dominikanerpater in diesem Fall – vor ihm sicher wäre, wenn Lenny erst einmal seinen Weg gekreuzt hätte.
    Aber Kevin hatte einen Freund verloren.
     
    An jenem Nachmittag, als Kevin von Lennys Haus zurückkam, fand er Millie wieder stöhnend auf der Couch im Wohnzimmer vor. Jake saß neben ihr und sah fern, sein Gesicht unbeweglich.
    «Meinst du nicht, wir sollten sie zum Doktor oder so bringen?»
    Jake sah Kevin an, und Kevin verstand auf einmal, daß Jake dieselben Gedanken bewegten, die auch er hatte; wenn Millie erst einmal weg wäre, dann wäre sie für immer weg. Er spürte ein gewisses Mitgefühl für den alten Mann in sich aufsteigen. Ihm bliebe nicht viel übrig vom Leben, ausgenommen die Erinnerung an diese Straßenbahnen.
    Und dann würde es Miss Gotter geben, die sich watschelnd einmischen und über neue Pflegeeltern für ihn und Dennis reden würde. Kevin bekam panische Angst. Er stand Miss Gotter nicht zur Verfügung – weder jetzt noch in Zukunft! Und mit diesem Beschluß fühlte er eine neue Kraft in sich. Er konnte ohne Miss Gotter leben... die Stadtregierung... das Sozialsystem. Da draußen, in der Stadt, gab es ein anderes System, und Bruce war ein Teil davon.
    Kevin schlich sich durch den Feierabendverkehr über die Houghton Street zum Gallatin House und murmelte die Worte der alten Frau mit dem Hund vor sich hin. «Sag es ihm, bevor er es von jemand anders hört.»
    «Sag’s ihm.»
    «Sag’s ihm.»
    Und dann wimmerte eine Antwort in seinem Kopf. «Aber er wird die Bullen rufen! Die stecken mich ins Gefängnis!»
    Doch Kevin ging immer weiter, mit steifbeinigen Schritten, die Hände dicht am Körper runterhängend. Er faßte einen Entschluß. Er würde das Haus nicht betreten. Im Haus säße er in der Falle. Draußen, da konnte er weglaufen.
    Er stieg die Vortreppe zu Bruces Haus hoch, streckte eine Hand aus, zögerte einen Augenblick und drückte dann auf den Klingelknopf. Während er auf das Surren des Türöffners wartete, fühlte er sich benommen und lehnte sich gegen die Tür. Für einen Moment glaubte er ohnmächtig zu werden, aber das Schwindelgefühl schwand. Er wartete, aber da gab es kein Surren. Bruce war anscheinend von der Arbeit noch nicht zu Hause.
     
    Kevin setzte sich auf die Vortreppe und hielt auf der Straße Ausschau, ob Bruces Wagen in Sicht käme oder ob er Bruces Gestalt die Straße entlanggehen sehen könnte. Nichts in Sicht. Er fragte sich, was wohl passieren würde, wenn Bruce käme. Das würde wahrlich eine niedrige Brücke werden! Aber er mußte es ihm sagen... mußte es... es war der einzige Weg.
    Er versuchte, sich zu beruhigen, indem er sich die Straße prüfend betrachtete. Gallatin House erinnerte ihn an das Bild, das er im Wartezimmer des Sozialamtes gesehen hatte. Gallatin House sah aus wie die Houghton Street 1880, dieselben gleichförmigen Reihen von Sandstein mit schmückenden Vortreppen, dieselben überhängenden Bäume. Nichts hatte sich verändert, seit die Kutschen verschwunden waren, und der Reichtum schien so unvergänglich zu sein wie die Gebäude.
    Gallatin House war mit Sicherheit kein Ort für die «Tunichtgute, Übeltäter und Außenseiter», von denen Mr. Graham erzählt hatte. Die Menschen, die hier lebten, blieben hier und ließen die Sonderlinge den Westen zähmen. Aber was hatte Bruce dann hier zu suchen, fragte er sich, und was hatte er hier zu suchen und auf Bruce zu warten? Sie sollten beide unterwegs sein und über die Prärie reiten!
    Kevin erblickte endlich Bruce, der auf das Haus zuging, eine Zeitung unter den Arm geklemmt. Aber irgendwas war anders. Sein Gang war nicht federnd. Er ging behutsam, als ob er sich vor einem Überfall fürchten würde, und seine Schultern waren hochgezogen, als müßten sie einen Schlag abwehren.
    Als Bruce näher kam, erkannte er Kevin und

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