Jäger der Schatten
trauen konnte, hatte Andreas es zugelassen, dass ein Silver Blood die Kontrolle über die Kirche der Menschen übernahm. Das konnte Andreas unmöglich gewusst haben. Zu solch einer Gotteslästerung wäre er nicht fähig. Es sei denn, Andreas war nicht der, für den sie ihn hielt. Es sei denn, er war gar nicht Michael. Es sei denn, er war nicht ihr Geliebter. Tomi wusste nicht, was oder wem sie noch Glauben schenken sollte.
So etwas war noch nie zuvor geschehen. In jedem Zyklus hatte sie ihren Zwilling wiedererkannt und mit jeder Faser ihres Körpers hatte sie gespürt, dass Michael Andreas war. Wie hatte sie so falsch liegen können? Sie konnte es nicht begreifen. Es musste eine andere Erklärung geben. Das konnte sie nicht einfach so hinnehmen. Andererseit s …
»Andreas ist ein Verräter. Ich habe es geahnt, doch ich wollte nicht darüber sprechen, bis ich ganz sicher sein konnte«, sagte Gio. Damit sprach er Tomis Zweifel aus.
Es war Mittag und der neu geweihte Kardinal empfing die ersten Besucher, die sich in einer langen Warteschlange aufgereiht hatten, um seinen Ring zu küssen und ihm zu seinem neuen Amt zu gratulieren. Als Venatoren mussten sie sich nicht anstellen. Sie gingen an den Wartenden vorbei und wurden vom Sekretär des Kardinals, einem menschlichen Conduit, schnell in die private Amtsstube begleitet.
»Meine Freunde!« Savonarola begrüßte Gio und Tomi mit offenen Armen.
Gio verschwendete keine Zeit. Sowie sie eingetreten waren, streckte er seine Hand aus und packte den Priester an der Gurgel. Er drückte ihm die Kehle zu, bis der Mann nicht mehr atmen konnte. Savonarolas Augen wurden blutrot und bekamen silberne Pupillen.
»Abomination!«, rief Gio aus. »Einst warst du ein Engel«, sagte er und dachte dabei an das, was die Blue Bloods hervorgebracht hatte n – eine wunderbare Stadt, in der Schönheit, Friede, Liebe und Licht herrschten. »Wir werden nicht zulassen, dass du zerstörst, was wir erschaffen haben.«
»Wer ist dein Herr? Wo hält er sich versteckt?«, wollte Tomi wissen.
Der Kardinal kicherte nur, doch sein Sekretär, der neben der Tür kauerte, lieferte die Antwort. »Er ist im höchsten Turm, im Haus der Mätress e …« Bevor er den Satz beenden konnte, entwand sich Savonarola aus dem Griff des Venators, nahm einen mit Edelsteinen besetzten Dolch von seinem Schreibtisch und erstach den Conduit.
»Mir wurde versprochen, dass mir kein Leid zugefügt wird!«, schrie der Kardinal.
Doch da sauste schon Gios Schwert auf seine Kehle nieder und enthauptete ihn.
Dritter Teil
26
Ein Engel steigt herab
W ie viele von euch wissen, habe ich vor zwei Wochen bei dem Versuch, Victoria Taylor zu retten, beschlossen, die Schutzschilde, die unsere Gemeinschaft abschirmen, für einen kurzen Moment außer Kraft zu setzen. Dennoch waren wir nicht in der Lage, Victoria rechtzeitig zurückzuholen, da ich selbst von einem Blutzauber in der Gedankenwelt angegriffen wurde.« Die junge Vorsitzende sah die versammelten Venatoren und Mitglieder des Ältestenrats mit traurigen Augen an. »Ich habe die heimtückische Wirkung des Zaubers überlebt, doch Victoria hatte nicht so viel Glück. Sie wurde umgebracht.«
Für eine lange Zeit herrschte Stille im Saal. Niemand sagte ein Wort oder machte auch nur ein Geräusch. Kein nervöses Husten, kein unruhiges Hin- und Herrutschen auf den Stühlen.
Von ihrem Platz ganz hinten beobachtete Demin Chen die Blue Bloods. Sie war beeindruckt von ihrer Fähigkeit, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten, doch sie spürte deutlich die Angst und Wut unter den Versammelten.
Das war kein gutes Zeichen. Es bedeutete, dass Mimi Force als Vorsitzende nicht die Unterstützung des Ältestenrats hatte. Das war sehr schade, denn jemand, der einen Blutzauber ohne einen Kratzer überstehen konnte, musste über besondere Kräfte verfügen und war es wert, respektiert und bewundert zu werden. Als Mimi zum ersten Mal Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, war Demin schockiert darüber gewesen, dass die Gerüchte stimmten, dass der New Yorker Ältestenrat von jemandem angeführt wurde, der noch am Beginn seines Zyklus stand und Azraels Geist in sich trug. Es mussten schlimme Zeiten sein, wenn der Engel des Todes an der Spitze der Gemeinschaft stand. Demin hatte Mimi Force erst ein Mal zuvor getroffen, während des Jubiläumsballs vor fast zwei Jahren, als die neuen Mitglieder des Komitees präsentiert und ihre unsterblichen Identitäten offenbart worden waren.
Demin mochte Mimi,
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