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Jäger der Schatten

Jäger der Schatten

Titel: Jäger der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa de la Cruz
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obwohl sie sich an den weit zurückliegenden Aufstand der Blue Bloods noch so genau erinnern konnte, als wäre er erst gestern gewesen. Azrael und Abbadon hatten den Feldzug gegen den Allmächtigen angeführt, hatten dem Morgenstern geholfen, eine Legion aus den Besten der Besten zusammenzustellen.
    Wir sind jetzt die Götter , hatte Azrael zu ihnen gesagt. Wir können die Herrschaft über das Paradies übernehmen . Die große und mächtige Kriegerkönigin hatte ihnen geschmeichelt und sie überredet, hatte sie davon überzeugt, sie seien wegen ihrer Stärke auserwählt worden.
    Wie hätten sie sich widersetzen können?
    Demin sah sich um. Das war in der Tat ein bedauernswerter Haufen, bestehend aus alten und noch unerfahrenen Vampiren. Einige Ratsmitglieder sahen aus, als wären sie schon weit über die Grenzen ihres Zyklus hinaus, während andere, wie die Vorsitzende, erst dabei waren, ihre vollen Kräfte zu entfalten und ihre Erinnerungen wiederzuerlangen. Doch Demin durfte nicht allzu kritisch sein. Sie hatte selbst gerade erst ihren siebzehnten Geburtstag gefeiert.
    Dass die Reihen der Blue Bloods in einem solchen Zustand waren, war beunruhigend, um es vorsichtig auszudrücken. Überall gab es schlechte Neuigkeiten: Der Europäische Ältestenrat hatte nach den Vorfällen in Paris eine Kommunikationssperre verhängt. Die Mitglieder weigerten sich, Nachrichten zu senden oder Informationen zu teilen, weil sie weitere Verräter unter den Vampiren fürchteten. In Südamerika hatte der Ältestenrat den Ausnahmezustand ausgerufen, und alle Transaktionen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften waren zusammengebrochen.
    Demin hatte von der Nordamerikanischen Gemeinschaft mehr erwarte t – New York war bekanntermaßen die Hochburg der Vampire. Hier hatten Michael und Gabrielle ihr Zuhause. Doch die Tugendhaften waren verschwunden und niemand wusste, ob und wann sie jemals zurückkehren würden. Die Vampire waren auf sich allein gestellt.
    Demin trank ihren Kaffee aus. Sie hatte einen Achtzehnstundenflug von Schanghai nach New York hinter sich und die gesamte Zeit grübelnd über den Venatorenberichten verbracht. Sie hatte jeden Eintrag gelesen, jede Entscheidung geprüft. Die Wahrheitssucher hatten sich penibel an die Vorschriften gehalten und sie konnte keine Fehler in ihrer Arbeit finden. Doch dieser Fall forderte mehr als nur Routineoperationen von ihnen.
    Sie versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Sie hatte kaum geschlafen und spürte, wie sie langsam Kopfschmerzen bekam. Als Unsterbliche sollte man gegen so etwas wie Jetlag immun sein, dachte sie.
    An der Stirnseite des Saals rief die Vorsitzende ihren Namen auf und Demin bemerkte plötzlich, dass jeder im Saal sie ansah.
    »Bitte erlaubt mir, euch Venatorin Demin Chen vorzustellen«, sagte Mimi gerade. »Demin hat mehr als einmal bewiesen, dass sie eine unserer erfolgreichsten und leistungsfähigsten Wahrheitssucherinnen ist. Ich bin mir sicher, dass sich viele von euch an sie und ihre Zwillingsschwester Dehua erinnern, die uns während der entscheidenden Siege in unserer Geschichte unterstützt haben: die ägyptische Schreckensherrschaft, die Krise in Rom und die Kirchenspaltung sind nur ein paar der Schlachten, in denen ihre Schwerter uns zum Sieg verholfen haben. Wir sind sehr dankbar, dass ihr Ältestenrat so freundlich war, sie hierherzuschicken, um uns auch in diesem Fall zu helfen.«
    Das waren einleitende Worte, die eher an das Vorlesen eines Lebenslaufes erinnerten, doch Demin war daran gewöhnt.
    Als Kuan Yi n – oder Engel der Barmherzigkei t – war sie besonders empfänglich für Emotionen und Stimmungen. In Schanghai war sie für ihr Talent bekannt, die guãnghuán einer Person lesen zu können, in der Heiligen Sprache Affectus genannt, ein Farbspektrum, das den Körper umgab und den inneren Gemütszustand offenbarte, der mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar war. Demin und ihre Schwester waren die einzigen Vampire, die den Affectus ohne die Hilfe der Gedankenkontrolle sehen konnten. Die Red Bloods hatten dafür auch einen Namen, doch diese Scharlatane, die behaupteten die »Aura« einer Person lesen zu können, taten nichts weiter als spekulieren. Man musste über den Blick eines Engels verfügen, um die Wahrheit erkennen zu können.
    Demin stand jetzt neben Mimi am Podium. »Vor sechs Monaten wurde ein Vampir aus unserer Gemeinschaft entführt«, sagte sie. Sie nahm eine Fernbedienung vom Tisch und rief zwei Fotos auf dem Bildschirm an der

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