Jäger des Einhorns
Mißverständnis gewesen?
Schließlich war Ergyse allein im Wasser übrig. Er stand auf und ließ sich abtrocknen. Ohne fremde Hilfe, einen halbvollen Becher in der Hand, ging er zur Bank und ließ seine Wunden und Schürfmale behandeln. Auch er wurde in prächtige Kleider gehüllt, die weich seinem Körper anlagen. Die Sklaven brachten ihn an den Wachen vorbei in einen anderen Raum, der ebenfalls ohne Tageslicht, aber von zahllosen Lampen und Fackeln erhellt war. Dort standen lange Tische und Bänke, auf denen sich Speisen förmlich stapelten.
Der Schiffsjunge wandte ihm sein Gesicht zu und fragte glücklich:
»Ist jetzt alles vorbei, Kapitän?«
Ergyse schaute in die verwirrten, umflorten Augen des Jungen und versuchte ihn zu trösten.
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß es uns besser geht. Vielleicht sehen uns die Menschen hier als vollwertig an, als Fremde in ihrem Reich. Laß es dir schmecken!«
Die anderen nickten ihm zu, grinsten und stürzten sich gierig auf das gute Essen.
Ergyse packte eine dicke, dampfende Bratenscheibe, biß hinein und zwang sich dazu, langsam zu kauen und nicht alles auf einmal herunterzuschlingen, obwohl sein Magen vor Hunger krachte.
Nachdem seine Mannschaft und die Krieger satt waren, drehten sie wie auf ein geheimes Kommando sich zu ihm herum.
In ihren Blicken fühlte er eine unausgesprochene, aber drängende Frage.
»Ich denke«, sagte er schließlich, während ein furchtbarer Verdacht in ihm hochstieg, »daß wir das Schlimmste überstanden haben.«
*
Kaizan zog seinen Dolch, schliff mit geistesabwesenden Bewegungen die Spitze an der Mauer und kratzte den Schmutz aus den Fingernägeln. Er hatte viel Zeit.
In seinem Blickfeld lag das Schiff, das den Namen Ayadon trug. Der Begleiter des Staubbedeckten stand bei einer Gruppe, die eben über breite Planken das Schiff verlassen hatte. Die überaus scharfen Augen des Dunkeljägers erfaßten zunächst das Bild einer zierlichen, schwarzhaarigen jungen Frau mit wohlgerundetem Körper. Über dem roten Fleck des dritten Auges lag eine auffällige Perlenkette über der Stirn.
»Eine Duine? Auf diesem Schiff…?« murmelte der Dunkeljäger.
Er wartete ruhig, gelassen und ungesehen. Er lehnte, für die Insassen und Wachen des Schiffes unsichtbar, an einem der Bäume des Hafenkais. Seit er aus der Dunkelzone zurückgekommen war, beherrschte Mißtrauen sein Denken und Handeln. Ausschließlich.
Kaizan prägte sich das Aussehen der anderen Männer ein. Da war der Kapitän oder Befehlshaber des Schiffes. Rauco hieß er, ein gefährlicher Mann, mit Casson gut bekannt. Casson?
Diesen Namen oder einen, der ganz ähnlich war, hatte er schon gehört.
Schließlich sonderte sich eine Gruppe von sieben Calcopern ab. Zusammen mit Casson, der Duine und Rauco gingen sie auf die Brücke zu. Bis hierher hörte Kaizan das feine Klingeln der dünnen Goldreifen an den Handgelenken der jungen Frau.
Er schob langsam den Dolch in die Gürtelscheide zurück, ließ den Fremden einen guten Vorsprung und folgte ihnen dann. Zuerst achtete er darauf, daß sie ihn nicht sahen. Als er sicher sein konnte, daß der Tempelbezirk ihr Ziel war, wurde seine Verfolgung offener.
Sie würden ihm nicht entkommen. Keiner von ihnen!
*
Rauco schüttelte den Kopf und knurrte:
»Natürlich fällt es auf, wenn wir uns nach den Gefängnissen oder Kerkern erkundigen. Aus zwei Gründen: Diejenigen, die keine dumm gehaltenen Sklaven sind, merken unsere Absicht. Und die Sklaven wissen entweder nichts oder melden es sofort ihren Herren.«
»Du hast recht!« antwortete Casson. Sie gingen zwischen dem ersten Paar schräger Mauern hindurch, die in breiten Stufen endeten. Riesige Schädel von Kröten, Schlangen und anderen Urwaldwesen in Stein, mit seltsam würfelförmig eingeteilten Oberflächen, sprangen an allen Ecken der kleineren Tempel und Heiligtümer hervor. Der Tempel des HÖCHSTEN, das war der riesige, zentrale Bau in der Mitte der Insel, hinter deren westlicher Fahrrinne die Insel der Händler und der Basare lag.
»Und«, fügte Yzinda hinzu, »vielleicht gibt es hier dennoch jemanden, der uns die Wahrheit sagt. Verhalten wir uns weiter, als wären wir nur unwissende Fremde.«
»Auch du hast uns nicht viel sagen können!« meinte Rauco.
»Ich sagte euch alles, was ich wußte!«
Als sie in dem Lichtblitz blinzelte, der von den mit wertvollen Metallen dünn belegten Schilden, Kreisen voller Schriftzeichen und anderen Verzierungen auffunkelte, wurde Cassons
Weitere Kostenlose Bücher