Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
Hausen, jenseits der Autobahn erhoben sich die Hänge des südlichen Schwarzwaldes bis hoch zum Schauinsland. Jetzt keinen Fehler machen, dachte sie.
Und Ihre Schwester?
Würde Ihnen dasselbe sagen wie ich. Wir haben nichts gesehen. Was außerhalb dieser Mauern geschieht, interessiert uns seit langer Zeit nicht mehr.
Keinen Fehler machen, Bonì. Für alles gibt es einen Grund.
Die Schwestern hatten Nadine gefunden. Sie hatten sie nach Hause gebracht und gepflegt. Drei Tage später war eine Polizistin gekommen und hatte Fragen gestellt. Josepha Ettinger hatte falsche Antworten gegeben.
Und richtige.
Und wenn Sie ihn hätten, blieben immer noch die anderen. Sie wissen doch nicht einmal, wo Sie suchen müssen. Wen Sie suchen müssen.
Das Handy riss sie aus den Gedanken.
»Du bist nicht zu Hause«, sagte Ben Liebermann.
Sie fluchte. Ben Liebermann vergessen …
»Die Taschenlampe. Wo reinleuchten und dann schnell weg, was?« Er lachte angespannt.
»Ich kann jetzt nicht, Ben.«
»Ich hätte mir denken können, dass du dich in Schwierigkeiten bringst.«
»Tu ich nie.«
» Bist du in Schwierigkeiten?«
»Nein.«
»Okay.«
»Du vertraust mir, oder?«
»Ja«, sagte Ben Liebermann.
»Ich muss jetzt auflegen.«
»Komm später zu mir. Irgendwann, wenn du ein paar Minuten Zeit hast.«
»Vielleicht gegen Mittag.«
Sie beendete das Gespräch, schloss die Augen. Die Ettingers hatten Nadine in der Scheune gefunden und sich um sie gekümmert. Aber sie hatten sie weder ins Krankenhaus gebracht noch die Polizei informiert. Als eine Polizistin vor der Tür gestanden war, hatte Josepha Ettinger gelogen. Niemand schien wissen zu dürfen, dass Nadine bei ihnen war. Nicht einmal die Polizei.
Gänsehaut kroch über ihre Arme.
Vielleicht, dachte sie, gerade nicht die Polizei?
Wenn sich die Ettingers und Nadine nichts hatten zuschulden kommen lassen, blieb nur eine Möglichkeit.
Sie fuhr weiter. Sie musste mit jemandem reden, aber nicht mit Ben Liebermann. Nicht mit Rolf Bermann, auch nicht mit Thomas Ilic.
Reden, bevor in die Fallakte kam, was Josepha Ettinger vor ihr verschwiegen hatte.
Denn für alles gab es einen Grund.
12
Manchen Menschen tat der Ruhestand gut. Christian Almenbroich gehörte nicht dazu. Sie fand ihn müder, grauer, deprimierter als je zuvor.
Eine falsche Entscheidung, und das Leben änderte sich dramatisch. Kripoleiter durften keine Fehler machen, die Menschenleben kosteten. Sie wusste, dass Almenbroich nie darüber hinwegkommen würde, dass er im Sommer 2003 einem Mann vertraut hatte, dem er nicht hätte vertrauen dürfen. Sie hatte ihn damals unterstützt. Auch ihrer Einschätzung wegen hatte er die falsche Entscheidung getroffen.
Sie saß an einem Frühstückstisch auf einem kahlen Balkon und sah zu, wie ein alter Mann mit zittrigen Fingern ein Ei löffelte. Einst hatte Almenbroich sie wegen ihrer Alkoholsucht in den Krankenstand geschickt. Nach ihrer Rückkehr war die Strenge Respekt und Vertrauen gewichen. Dann die Sache mit den Terroristenjägern, die Entscheidung, auf den falschen Marcel zu setzen, und aus Almenbroich war ein alter, tattriger Mann geworden, der Mühe hatte, ein Ei zu löffeln, ohne zu kleckern.
Aber sein Verstand funktionierte. »Lassen Sie es sich wenigstens nicht anmerken«, sagte er.
»Tut mir leid.«
»Noch eine Scheibe?« Er reichte ihr den Brotkorb. »Probieren Sie das Quittengelee. Selbstgemacht.«
»Sie machen Quittengelee?«
»Natürlich. Was soll ich sonst tun?«
Sie aßen schweigend.
»Alte Menschen sind böse, Louise«, sagte Almenbroich dann. »Sie hassen die Welt. Die Welt dreht sich jung, frisch und faltenlos weiter, während sie selbst dem Ende entgegendämmern. Manche werden damit nicht fertig und sterben früher. Andere rächen sich an der Welt.« Er trank einen Schluck Kamillentee. »Lassen Sie die Ettingers überprüfen, das ist mein Rat. Wer weiß, worauf Sie stoßen.«
Sie nickte. »Haben Sie noch Kontakte zur Staatsanwaltschaft?«
»Warum?«
»Ich brauche einen Durchsuchungsbeschluss für den Hof.«
Almenbroich seufzte. »Offiziell nachholen, was Sie inoffiziell schon getan haben? Um nicht zu sagen: illegal?«
»So könnte man es formulieren.«
»Sie haben sich nicht geändert, Louise.«
»Ein bisschen schon. Ich hab lange darüber nachgedacht, ob ich es tun soll.«
»Ein großartiger Fortschritt.«
Sie lachten.
»Ich rede mit Staatsanwalt Hennemann«, sagte Almenbroich.
»Danke.«
Sie stand auf, trat an die Brüstung.
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