Jäger und Gejagte

nahe, daß es vermutlich von Bedeutung ist...«
    Amy sagt nichts, sondern wartet. Es ist seine Entscheidung. Wenn er es ihr erzählen will...
    »Heute morgen ist ein Mr. Enoshi Ken von Kono-Furata-Ko International bei uns gewesen. Er hatte eine etwa dreistündige Konferenz mit Bobinek und El- Gabri. Einer unserer Chefanwälte war ebenfalls anwesend.«
    Bobinek ist der Verwaltungsdirektor von Mitsuhama UCAS. »Wer ist El-Gabri?« fragt Amy wie aus der Pistole geschossen.
    »Der verantwortliche Leiter der Abteilung Biotech.«
    »O mein Gott.«
    Mehr weiß Harman nicht, aber es reicht auch so. Amy versucht eine neutrale Miene zu bewahren, bis das Gespräch beendet ist. Es hat keinen Sinn, ihn ebenfalls aufzuregen.
     
    Seine Information läßt sie wieder an Enoshi Kens Bemerkungen über fettes und mageres Fleisch und die Notwendigkeit zum Abbau von Überflüssigem sowie ihre Gedanken über Hurley-Coopers Rivalen im eigenen Lager drüben auf Staten Island denken. Die offensichtliche Implikation ist die, daß KFK International den Verkauf von Hurley-Cooper Laboratories erwägt oder möglicherweise bereits in die Wege leitet.
    Das kann nicht sein.
    Wenn KFK Hurley-Cooper abstößt... wenn MCT kauft... Wenn etwas Derartiges geschieht, ist Amys Karriere so gut wie beendet. Jede Karriere, an der ihr etwas liegen würde, wäre beendet. Sie würde lieber den Rest ihres Lebens Toiletten reinigen, als in einer so brutalen Umgebung wie bei MCT zu arbeiten. Unglücklicherweise könnte es durchaus sein, daß ihr nicht einmal diese Möglichkeit offensteht. Zu Hurley-Cooper gehört der Vertrag mit ihr ebenso wie alle anderen Aktivposten der Firma. MCT hätte das Recht, darauf zu bestehen, daß alle Angestellten Hurley-Coopers Teil der Kaufvereinbarung sind. Sie könnte schon morgen gezwungen sein, für MCT zu arbeiten, und zwar in jeder Funktion, die ihr die neuen Besitzer zuweisen.
    Aber... derartige Gedanken werden ihr nicht helfen.
    Was bedeutet das alles? Was soll sie tun? Wenn ihre Vermutungen korrekt sind und tatsächlich ein Verkauf vorbereitet wird, sollte sie vielleicht die von ihr entdeckten Unregelmäßigkeiten enthüllen in der Hoffnung, daß MCT einen Blick darauf wirft und sagt: »Danke für das Angebot, aber kein Interesse.«
    Nein, das ist verrückt. Sie würde tatsächlich damit enden, Toiletten zu reinigen, wenn sie einen Verkauf platzen ließe, der vom KFK-Vorstand in Tokio gewünscht wird. Das würde sie für den Rest ihres Lebens bedauern. Sie kann nur hoffen, daß ihre Vermutungen falsch sind. Aber nein - das ist nicht gut. Sie kann nicht nur herumsitzen und das Beste hoffen. Sie muß etwas unternehmen, und zwar sofort. Irgendwie muß sie den Geheimnissen auf den Grund gehen, auf die sie gestoßen ist, und einen Weg finden, Hurley-Cooper in ein positives Licht zu rücken. Sie muß dafür sorgen, daß Tokio am Ende mit seiner kleinen Forschungsgesellschaft in New York zu zufrieden ist, um sie abzustoßen.
    Vielleicht ist es an der Zeit, daß sie zu etwas extremeren Mitteln greift.
    Schließlich steht alles auf dem Spiel.

36
     
    Das Lagerhaus steht im Schatten des erhöht liegenden Cross Bronx Expressway nicht weit von der Throgs Neck Bridge. Die Verladebucht des Lagerhauses ist groß und mit den Abfällen ungezählter, längst nicht mehr anwesender Penner übersät.
    Über die ausgedehnte Decke verlaufen die Schienen eines kleinen Hebekrans. Von diesem Kran baumelt ein dickes Kabel herab, das über einen großen Flaschenzug läuft. Am Ende des Flaschenzugs hängt ein Haken. Und an diesem Haken ist die Elfin, die Tikki in O'Keefes Haus gefangengenommen hat, an ihren Handgelenken aufgehängt. Sie ist nicht nur blutverschmiert und mit Schrammen und Blutergüssen übersät, sondern auch noch nackt, und ihre tätowierte Haut weist mehrere kleine Brandwunden von der Spitze eines schlanken Sumatra-Zigarillos auf. Ihre Zehenspitzen schleifen über den körnigen Betonboden.
    Tikki tritt hinter die Elfin.
    Für ein Gangmitglied hat sie ein wohlgeformtes Hinterteil: voll und rund. Bimenförmig. Das ist gut. So ein Hintern ist voller Fettgewebe, und dieses Gewebe besteht größtenteils aus Wasser. Salzigem Wasser. Diese Art Wasser ist ein besonders guter Leiter für elektrischen Strom.
    Tikki preßt die Spitze eines Defiance AZ-S Schockstabs gegen den Körper der Elfin, berührt die Taste, die mit 7 bezeichnet ist, und drückt auf den Auslöser. Die Lithium-Kondensatoren des Stabs erzeugen einen Stromschlag, der die Elfin