Jäger und Gejagte

Titel: Jäger und Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nyx Smith

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linkes Handgelenk und drückt mit den Spitzen dreier Finger zu. Zunächst geschieht gar nichts. Harman runzelt verblüfft die Stirn. Im nächsten Augenblick wird sein linker Arm von einem Feuer verbrannt, das sich bis zur Schulter frißt und dann in seinen Kopf bohrt wie ein weißglühender Stachel. Sein ganzer Körper zuckt unter dem Schock. Er schreit auf. Farben explodieren vor seinen Augen, und er scheint für eine kleine Ewigkeit an einem Starkstromkabel zu hängen und zu zittern. Der Strom, der durch seinen Körper fließt, heißt überwältigender Schmerz. Jedes Nervenende zuckt darunter.
    Als die Schmerzen schließlich nachlassen, keucht und seufzt Harman schwer atmend. Der farbige Nebel vor seinen Augen klärt sich. Sein linker Arm ist taub und fängt dann an zu kribbeln, als das Gefühl in ihn zurückkehrt. »Das war nur eine Kostprobe«, sagt Neil ungerührt. »Mein Freund versteht etwas von Schmerzen. Er kann Ihnen das die ganze Nacht lang antun. Ihr Arm kribbelt jetzt vielleicht ein wenig, aber Sie haben keinen körperlichen Schaden erlitten. Noch nicht.«
    Harman holt tief Luft und sagt: »Das ist abscheulich.«
    »Praktisch«, erwidert Neil. »Metamenschen ertragen nur eine begrenzte Menge an Schmerzen. Dann sucht der Verstand nach einem Ausweg. Sie sind nicht in Widerstandstechniken ausgebildet. Ich verspreche Ihnen, daß Sie sehr schnell zusammenbrechen würden. Ersparen Sie sich die Schmerzen.«
    Das wäre wahrscheinlich angebracht, nimmt Harman an. Was Neil sagt, stimmt wahrscheinlich. Eine Person ist nicht unbegrenzt leidensfähig. »Welche Garantie habe ich, daß ich unversehrt freigelassen werde?«
    »Das zu entscheiden, überlasse ich Ihnen«, erwidert Neil. »In der Zwischenzeit lassen Sie uns noch einmal zu Amy Berman zurückkehren.«
    Ja, natürlich. Es geht um Amy. Und die Frage ist, wieviel kann er erzählen, ohne Amy oder sich selbst zu kompromittieren? Wenn Neil tatsächlich für KFK International arbeitet, wäre es dann nicht das beste, alles zu erzählen, was er weiß? Falls Neil auf irgendeine Weise mit der Revision bei Hurley-Cooper in Verbindung steht, wäre es dann nicht das beste für Amy, für alle, wenn er lang und breit alles schilderte, was er über Amys jüngste Aktivitäten weiß? Um zu beweisen, daß sie alles tut, was in ihrer Macht steht, um den Interessen von KFK International zu dienen?

    Wenn Neil dagegen von Mitsuhama beauftragt wurde, könnte jedes Wort, das Harman verrät, alles, was er weiß, ja schon allein seine Beziehung zu Amy, als Verrat ausgelegt oder hingestellt werden.
    Der Asiat tritt vor und legt eine Hand auf seine linke Schulter.
    Unerträgliche Qualen überfluten seinen Körper.

51

    Die Kreatur auf dem Monitor kommt Dr. Hill wie die Königin aller Tiger vor, eine finstere Königin, die in rotes Fell mit schwarzen Streifen gehüllt ist. Ihre Ähnlichkeit mit Panthera Tigris Altaica, dem Sibirischen Tiger, ist vielleicht nur oberflächlicher Natur, denn ihr wahrer Name lautet Bestiaforma Mutabilis, Gestaltwandler. Doch diese technischen Begriffe vermitteln nichts von ihrer Majestät und Kraft. Sie ist größer als der Sibirische Tiger und muskulöser. Ihre Augen glitzern dunkel, wenn das Licht auf sie fällt. Sie liegt jetzt am Ende des für sie reservierten Raumes, den Kopf aufgerichtet, und mustert das einförmige Grau, wie eine Königin die Zelle eines Verlieses mustern würde: mit königlicher Wut und ... etwas mehr. Einer gewissen Entschlossenheit.
    Germaine fragt: »Soll ich Dr. Phalen sagen, daß wir soweit sind?«
    »Ja«, erwidert Ben, »und warnen Sie Mr. Tang, daß wir in ein paar Minuten anfangen.«
    »Ja, Dr. Hill.«
    »Vielen Dank.«
    Germaine geht hinaus. Bens Blick wandert wieder über die Kontrollen zu der Gestalt auf dem mittleren Schirm. In seinem Magen regt sich ein Gefühl des Unbehagens. Primitiven Kreaturen von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, kann bestürzend sein. Man fragt sich immer, wieviel Intelligenz sich hinter der Maske der Wildheit verbirgt. Insbesondere bei einem Gestaltwandler brennt einem diese Frage auf den Nägeln. Impliziert nicht die Fähigkeit, sich in ein menschenähnliches Wesen zu verwandeln, auch einen menschenähnlichen Intelligenzgrad? Ist es möglich, daß er hier an der Gefangenhaltung und dem Mißbrauch einer Kreatur beteiligt ist, die als menschenähnlich betrachtet werden sollte? Diese Möglichkeit setzt ihm zu. Sie plagt ihn schon seit dem Beginn dieses jüngsten Projekts von Dr.