Jaegerin der Daemmerung
Wunde wusste, dass dem nicht so war, fuhr sie fort und untersuchte jede einzelne Verletzung.
Sie stand gerne so nah bei ihm. Seine Gelassenheit war schon an sich ein Aphrodisiakum. Sie hatte von Zen, einer fernöstlichen Philosophie, gehört, die sich über die ganze Welt verbreitet hatte, und für sie verkörperte dieser Mann diese Lebenseinstellung. Er ruhte völlig in sich. Sogar das einfache Vergnügen, das er beim Lernen empfand, war ohne Stolz.
Mit halbgeschlossenen Lidern beugte Ivory sich nach vorne und fuhr mit der Zunge über den langen Kratzer, um mit ihrem heilenden Speichel das Brennen zu lindern und die Wunde zu verschließen.
Razvan versteifte sich. »Was tust du da?«, fragte er heiser.
Ivory bemerkte sehr wohl, dass seine Atmung ins Stocken geriet. Mit einem befriedigenden Gefühl beobachtete sie, wie seine Gelassenheit bröckelte, und das freute sie ungemein. Wie von selbst glitten ihre Hände zur nächsten Wunde, gefolgt von ihrem Mund. Sie genoss es, dass seine klar umrissenen Muskeln unter ihrer Berührung zuckten, die Hitze seines Körpers und seinen Geruch, der an eine frische Frühlingsnacht erinnerte.
»Was tust du da?«, wiederholte er.
»Ich kümmere mich um deine Verletzungen«, sagte Ivory mit verräterisch heiserer Stimme.
Razvan ließ seinen Atem langsam entweichen. »Hör mir zu, Ivory«, raunte er, packte sie sachte, aber bestimmt an den Handgelenken und schob sie von sich. »Mein Körper hat mich ein ums andere Mal betrogen. Ich weiß nicht, wie oft Xavier mich missbraucht hat, um Spaß mit anderen Frauen zu haben und um sie zu schwängern, damit er sich vom Blut des Kindes nähren konnte.«
»Ich weiß nicht, was du mir damit sagen willst.« Ihre Blicke trafen sich, hielten sich fest.
»Ich will dich nur darauf hinweisen, dass es gefährlich ist, wenn wir uns zu nahe kommen. Du bist meine wahre Gefährtin, und jede Faser in mir schreit danach, dich für mich zu beanspruchen. Wenn das passiert, wären wir für immer aneinandergebunden. Aber da es für dich zu gefährlich wäre, kann ich das nicht tun. Zugegeben, du hast mich von Xavier befreit, aber es ist schon einmal passiert, dass der dunkle Magier einen schwachen Moment ausgenutzt und vier Splitter von sich selbst in meinen Körper implantiert hat, um mich für abscheuliche Verbrechen zu missbrauchen. Es gibt Kinder auf dieser Welt, die meinetwegen unsägliche Qualen erleiden mussten. Ich habe sie nie gesehen und würde sie wahrscheinlich gar nicht erkennen.«
»Doch, das würdest du«, versicherte Ivory ihm. »Da bin ich mir sicher.«
»Der Heiler und der Prinz haben mich nur zögerlich akzeptiert. Und das auch nur, weil ich mit dir unterwegs war. Glaub mir, du würdest das Leben einer Ausgestoßenen führen, wenn du an mich gebunden wärst.«
Ivory schüttelte ihren Kopf. »Ich rechne es dir hoch an, Razvan, dass du zuerst an das Wohl anderer denkst, aber in Wirklichkeit hast du die Sache nicht bis zum Ende durchdacht.« Was redete sie da nur? Ivory war entsetzt über sich selbst, dass sie mit ihm herumstritt, als ob sie wollte, dass er sie für sich einforderte. Wann hatte sich ihre weibliche Seite so gedreht, dass sie wollte, dass er sie wollte, selbst wenn sie seinen Besitzanspruch nie akzeptieren würde? Was war nur in sie gefahren? Vermutlich war sie einsamer, als sie es sich eingestehen wollte. Sie liebte ihr Leben. Schließlich hatte sie es sich ausgesucht. Ivory fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, um ihn zu schmecken.
»Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.« Sie wollte von ihm abrücken, doch er hielt sie an ihren Handgelenken fest und zog sie an sich.
»Tu das nicht. Ich würde niemals die einzige Person zurückweisen, die ich je begehren werde. Mag sein, dass du Xavier lange studiert hast, aber du ahnst noch nicht einmal ansatzweise, wie böse er tatsächlich ist. Sobald er wüsste, dass du mir alles bedeutest, dass du der Grund dafür bist, dass ich noch lebe, würde er die Suche nach mir einstellen und alle Hebel in Bewegung setzen, um dich aufzuspüren. Das kann und darf ich nicht zulassen. Du bist die einzige Person, für die ich meine Seele hergeben würde. Das darf er niemals erfahren.«
Als Ivory erneut versuchte, von ihm fortzukommen, zog er sie abermals an sich und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
»Ich würde alles für dich aufgeben, selbst meine Ehre. Das ist das Einzige, das in all den Jahren unangetastet geblieben ist. Für meine Ehre habe ich viel auf
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