Jaegerin der Daemmerung
beschäftigt damit, mit deinem Opfer zu spielen, dass du die wichtigste aller Regeln außer Acht gelassen hast. Kein Wunder, dass du diese Nacht nicht überleben wirst.«
Obwohl Ivory ein hohes Maß an Verachtung in ihre Stimme legte, klang sie wie eine Dame. Sie sprach leise und gar nicht bedrohlich, eher wie eine Prinzessin, die einen Bauern tadelt. Razvans Bewunderung stieg ins Unermessliche. Allein durch die Kraft ihrer Worte und ihrer Stimme zog sie den Vampir in ihren Bann. Den Bauern hatte der Untote längst vergessen. In seinen Augen stellte er keine Gefahr dar. Stattdessen konzentrierte er sich einzig und allein auf Ivory, nach deren gehaltvollem Karpatianerblut er sich verzehrte. Ein Leckerbissen für einen Vampir, der noch nicht lange zu den Untoten zählte.
Der Vampir warf ihr einen finsteren Blick zu, ehe er mit betont freundlicher Stimme sagte: »Wie kannst du es wagen, mich zu tadeln, wo du doch alleine unterwegs bist? Was hast du hier eigentlich zu suchen?« Mit jeder Silbe klang er unterwürfiger und kriecherischer. »Und das, wo du von so erlesener Schönheit bist. Eine Lebensgefährtin wie du würde mir gut zu Gesicht stehen.«
»Deine Jugend wird dir gerade zum Verhängnis. So ungestüm und auf dem Holzweg. Nur Vampir-Neulinge glauben, Frauen dazu zwingen zu können, ihre Lebensgefährtinnen zu werden. Schade, dass dir keine Zeit bleibt, die nötigen Erfahrungen zu sammeln.« Ivory legte den Kopf auf die Seite und musterte ihr Gegenüber vom Scheitel bis zur Sohle. »Du bist so frisch, dass du noch dein gutes Aussehen behalten hast. Nur die Jungen sehen noch unverbraucht aus.«
Ehe der Vampir etwas antworten konnte, schnellte ihre Hand zum Gürtel, und Ivory schleuderte sechs beschichtete Pfeilspitzen von sich, die in einer geraden Linie oberhalb seines Herzens einschlugen. Im selben Moment sprang Razvan auf den Vampir zu und schlug ihm mit aller Kraft die Faust durch den Brustkorb. Dank der vielen Narben an seinem Arm spürte er nur wenig von dem ätzenden Vampirblut, während seine Finger nach dem Herz des Vampirs tasteten, es zu fassen bekamen und daran zerrten.
Einen bestialischen Schrei ausstoßend, gab der Vampir Razvan eine Kopfnuss, ehe er versuchte, die Gestalt zu wandeln, was ihm aber wegen der Pfeilspitzen nur teilweise gelang. Seine langen Klauen gruben sich in Razvans Brust, auf der verzweifelten Suche nach dessen Herz. Erstaunt darüber, dass er doch mehr Kraft brauchte, als er angenommen hatte, riss Razvan den Arm nach hinten und brachte das schwarze Herz, das seine normale Größe noch nicht eingebüßt hatte, zum Vorschein.
»Schau es nicht an, sondern verbrenne es«, rief Ivory ihm zu.
Als Razvan einen Blitz herbeirief, achtete er darauf, dass der nichts außer dem Vampir und dessen Herz traf. Anschließend reinigte er seine Arme in dem gleißenden Energiefeld. »Die Kontrolle über den Blitz zu behalten ist nicht leicht. Fast hätte ich sie verloren und dich getroffen.«
»Darauf war ich vorbereitet.« Seufzend warf Ivory ihm einen besorgten Blick zu. »Zaudern kann dich das Leben kosten. Beim Angriff hast du deine Schnelligkeit unter Beweis gestellt, aber du darfst ihn nicht für tot halten, solange sein Herz noch existiert. Du musst es als Erstes verbrennen. Ein erfahrener Vampir hätte die Gelegenheit genutzt, sich selbst zu heilen, während du dastandst, um dein Werk zu bewundern.«
Razvan lachte laut. Das Töten von Vampiren war eine blutige Angelegenheit. Der stinkende Atem und die Klauen, die an seiner Brust und seinem Bauch gerissen hatten, waren doch ein wenig beängstigend gewesen. Und dennoch: Er hatte es geschafft, hatte seinen ersten Vampir getötet. An seiner Technik musste er zwar noch feilen, aber er hatte die Welt von einem weiteren Untoten befreit und gleichzeitig dem Bauern das Leben gerettet. Es fühlte sich wunderbar an, etwas Gutes getan zu haben, statt herauszufinden, dass sein Körper eine Frau geschwängert oder einen hinterhältigen Anschlag auf seine Schwester oder ihren Seelengefährten ausgeführt hatte. Es war unmöglich, Ivory das zu vermitteln, also versuchte er es noch nicht einmal. Er lächelte sie einfach an und verneigte sich.
»Ich werde beim nächsten Mal dran denken.«
Ivory wusste, dass er es ernst meinte. Sie sah ihm an, wie glücklich er war - und das, obwohl er blutüberströmt in zerrissenen Kleidern in einem heruntergekommenen Stall stand. Besorgt glitt ihr Blick über ihn. Blut lief stetig über seine Brust und tropfte an
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