Jägerin der Nacht 03 - Dawnbreaker
Knossos. Die Naturi hatten sich in die Mitte des weitläufigen Platzes zurückgezogen, um das Opfer zu überwachen. Eine üble Vorahnung rumorte in mir und begann, an meinen Gedanken zu nagen. Vor fünfhundert Jahren hatten sie nur eine einzige Opfergabe gebraucht, eine wunderschöne junge Frau mit langem schwarzem Haar.
Sie war eine der Töchter des Kaisers gewesen und spielte seitdem eine Hauptrolle in meinen immer wiederkehrenden Albträumen. Heute Nacht standen dreizehn Menschen in der Mitte des grasbewachsenen Platzes, eine Mischung aus Ortsansässigen und Touristen. Sie waren im Kreis aufgestellt, die Gesichter nach innen gekehrt. Mit der Linken waren sie jeweils an die Rechte des Nebenmannes gefesselt, sodass der Kreis fest geschlossen blieb. Ihr ersticktes Schluchzen und die flehenden Stimmen brachen sich an den umliegenden Steinmauern und stiegen hinauf in die kühle Bergluft.
Ich empfand nicht den leisesten Hauch von Mitleid. Sie erwartete ein schnelles Ende. Alles, was man von ihnen verlangte, waren ihre Herzen und ein bisschen Blut - die unverzichtbaren Zutaten für jeden mächtigen Zauberspruch. Ich öffnete und schloss nervös die leere linke Hand und riss mich vom Anblick des Menschenkreises los, um zu Jabari hinüberzusehen. Er runzelte die Stirn.
Etwas an diesem Anblick beunruhigte ihn ebenfalls. Dabei hatte ich gehofft, das ginge nur mir so.
„Diesmal ist es anders", sagte ich. Er gab keine Antwort, aber seine Kräfte drängten sich eine Spur heftiger gegen meinen Köper. „Letztes Mal hatten sie nur eine Opfergabe. Eine Frau. Diesmal sind es gleich dreizehn Menschen. Warum?" „Sie wollen dieses Mal mehr Macht heraufbeschwören", antwortete Stefan und trat mit ein paar Schritten hinter mich. „Wir haben sie schon einmal besiegt. Eine solche Demütigung wollen sie kein zweites Mal erleben."
Das erschien mir fast logisch. Mehr Blut bedeutete mehr Macht, aber warum ausgerechnet dreizehn? Warum nicht zwei oder fünf? Sicher wäre das mehr als ausreichend gewesen. Dreizehn. Die Zahl ging mir nicht aus dem Kopf und schien eine Antwort herauszufordern, die sich mir immer wieder entzog. Diese Zahl hatte etwas zu bedeuten. Vom Standpunkt der Magie aus betrachtet, war die Zwölf eine Schlüsselzahl, aber das galt vielleicht für einen Hexenzirkel, der Zauber wirken wollte, nicht etwa Opfer bringen. Außerdem hatte meine vorherige Überprüfung ergeben, dass keiner der Menschen magisch begabt war.
„Hier stimmt was nicht", murmelte ich und drehte mich zu Cynnia um, die zurückgeblieben war. Die taubenweißen Flügel, die sie eben noch um den Körper geschlungen hatte, lösten sich nun auf und rieselten ihr wie ein Strom aus Sandkörnern von den Schultern. „Verstehst du, was hier vorgeht?" „Ich .. ich weiß es nicht", stammelte sie und rang die Hände. „Die Zeremonie, um das Tor zu öffnen, habe ich noch nie gesehen. Ich hätte nie geglaubt, dass so viele Menschen dafür nötig sind." „Glaubst du etwa wirklich, dass sie die Wahrheit sagt? Und ihre Leute verrät?", knurrte mich Stefan an und kam einen Schritt näher, sodass er jetzt fast zwischen mir und der Naturi stand. „Bisher hat sie uns auch immer geholfen! Wir haben ein gemeinsames Ziel: Sie will auch, dass ihre Schwester gefangen bleibt. In dieser Situation bin ich für jede Hilfe dankbar." Ich wandte mich zu Jabari um und deutete mit dem Kopf auf den vor uns hegenden Platz. „Es ist zu spät. Zeit zu handeln."
„Mira", grollte Jabari mit tiefer, warnender Stimme. Ich wollte schon auf den Platz hinaustreten, hielt aber inne, als sich vor jedem der Menschen ein Naturi mit einem Kurzschwert in der Hand aufbaute. Das Jammern und Wehklagen erreichte einen fieberhaften Höhepunkt. Ich hob die Hände mit nach außen gekehrten Handflächen über den Kopf und reckte sie der Nacht entgegen, aber nichts geschah. Stand ich ein weiteres Mal an der gleichen entscheidenden Kreuzung? Erst vor wenigen Monaten hatte in Stonehenge eine Frau vor mir gelegen. Die Naturi wollten ihr das Herz herausschneiden, um das Siegel des Gefängnisses zu brechen, in dem ihre Leute festsaßen. Ich hatte sie getötet, um das Opfer zu verhindern. Auf Kreta war ich bereit gewesen, drei unschuldigen Menschen dasselbe anzutun, aber ich war zu spät gekommen. Jetzt stand ich hier am Rand des Platzes und hielt das Leben von dreizehn unschuldigen Menschen in den bebenden, blutbefleckten Händen.
„Mira?", sagte Danaus. Ich riss mich vom Anblick der Menschen los und sah
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