Jägerin der Nacht 03 - Dawnbreaker
weißen Laken zurück. Mit jedem Toten, dem er ins Gesicht sehen musste, ballte er die Fäuste heftiger. Obwohl sie die blicklosen Augen geschlossen hatten, schienen uns dennoch beide vorwurfsvoll anzusehen. Als er zur letzten Leiche kam, stieß er ein lang gezogenes Knurren aus. Das hatte ich erwartet. Es war Will, der jüngste von seinen drei Brüdern und bereits der zweite Bruder, der im Lauf der letzten beiden Monate gestorben war.
Schweigend sah ich ihm zu und wünschte, ich könnte mich unsichtbar machen, während er im Stillen um seinen toten Bruder und die anderen Rudelmitglieder trauerte. Er fuhr sich mit beiden Händen durch das schokoladenbraune Haar und holte tief Luft, während er sich bemühte, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zögernd bewegte er sich auf einen abgedeckten Tisch zu, der etwas abseits stand.
„Der gehört nicht zu dir", sagte ich leise, und zum ersten Mal sah er mir mit seinem stechenden Blick direkt ins Gesicht. Ich erschauerte unwillkürlich. „Also hast du endlich auch mal einen von deinen verloren", grollte er. „Einer ist tot, ein zweiter liegt im Sterben, ein dritter wurde schwer verletzt, und eine weitere wurde entführt und wird vermutlich gerade gefoltert, während wir hier sprechen", antwortete ich und ärgerte mich über mich selbst, weil ich mich überhaupt auf diesen Streit einließ.
Er war durch die Todesfälle, die seine Leute in letzter Zeit heimgesucht hatten, tief getroffen.
„Zwei meiner Brüder in ebenso vielen Monaten abgeschlachtet! Ein Drittel meines Rudels von Nachtwandlern ausgerottet. Meine eigene Mutter und meine Schwester gezwungen, sich in einer anderen Stadt zu verkriechen, während wir hier durch eure Hand sterben!", schrie er und verlor jetzt vollends die Beherrschung. „Dein Rudel hat uns angegriffen", sagte ich ruhig. Ich wünschte, ich hätte ihm mehr Mitgefühl und Beileid zeigen können, aber ich musste meine eigenen Leute beschützen. Wenn ich hier und jetzt in einem Augenblick der Rührung etwas Falsches sagte, fürchtete ich, dass sich das später gegen mein Volk auswirken würde.
„Weil wir unter dem Einfluss der Naturi standen." „Und was erwartest du dann von uns? Dass wir uns einfach umbringen lassen, nur weil ihr nichts dafür könnt?" „Ich dachte, du wolltest angeblich etwas gegen die Naturi unternehmen. Ich habe mit anderen Rudeln gesprochen, und keines von ihnen hat solche Probleme wie wir. Ein paar Lykaner werden vermisst, aber der Blutzoll ist nicht annähernd so hoch wie hier bei uns."
Ich trat vom Schreibtisch weg und verringerte den Abstand zwischen uns um ein paar Schritte. „Barrett, sie versuchen, einen Keil zwischen uns zu treiben", sagte ich leise. „Sie wollen, dass wir uns untereinander bekriegen, statt gemeinsam gegen sie zu kämpfen."
„Wir bekämpfen uns gegenseitig, und meine Leute verlieren! Wir sind zwischen dem Kampf gegen euch und dem gegen die Naturi gefangen. Warum? Warum hier? Was .. " Barretts Wutausbruch brach plötzlich ab, als er mich anstarrte. In diesem grauenhaften Moment begriff er endlich, warum seine Leute abgeschlachtet wurden. Die Naturi waren hinter mir her, und sie benutzten die Lykanthropen als Kanonenfutter. In meinen Kämpfen mit den Lykanern war es mir bisher gelungen, keinen von ihnen töten zu müssen, aber es wurde zunehmend schwieriger. Die Naturi verzweifelten langsam, und deshalb warfen sie uns mehr und mehr Gestaltwechsler entgegen in der Hoffnung, uns durch schiere Masse zu überwältigen.
„Sie sind immer noch auf der Jagd nach dir, stimmt's?", fragte Barrett leise und eindringlich, mit einer Stimme, die mir wie Schmirgelpapier über die Haut fuhr. „Sie haben dich vor zwei Monaten im Dark Room gejagt, und sie haben dich seit deiner Rückkehr vor über einem Monat immer weiter gehetzt." „Sie setzen alles daran, mich zu töten", gab ich zu und ballte die Fäuste, so schwer fiel es mir, diese Worte laut auszusprechen. „Ich kann sie davon abhalten, das Tor zu öffnen, das ihrem Volk die Freiheit versperrt."
„Aber warum musstest du dann hierher zurückkommen? Warum haben deine Leute sich nicht vor dich gestellt? Kann euer Konvent dich nicht beschützen?", entgegnete er und trat einen Schritt auf mich zu. „Ich lasse mich nicht von den Naturi aus meinem Zuhause vertreiben", fauchte ich. „Aber damit tötest du meine Leute!" „Bring uns nicht in so eine Lage, Barrett", warnte ich und fühlte mich bereits in die Ecke gedrängt, obwohl er sich noch
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