Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
ihren Kopf zu schleichen. Ich musste einfach wissen, ob es den Naturi irgendwie gelungen war, sie zu beeinflussen. Wieder traf mich eine tosende rote Hungerwelle. Ihr Verstand war ein Strudel aus Gedankenfetzen. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf grauenhafte Bilder und hörte Schreie, bis ich spürte, wie mein eigener Körper erschauerte. Widerstrebend zog ich mich zurück. Ich konnte weder in der Umgebung noch in ihrem Geist Naturi spüren. Es gab nur Mira und ihre Erinnerungen.
»Lass ihn los, Mira«, sagte ich und drückte ihr die Schulter.
»Aber … «, begann sie schwach und unsicher. Sie starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an. Mit einem Mal spürte ich, wie namenlose Angst ihren Hunger verdrängte, und voll und ganz von ihr Besitz ergriff, bis für nichts anderes mehr Platz war.
»Tristan wird dir nichts tun. Ich verspreche es. Das lasse ich nicht zu.«
Sie sah den jungen Nachtwandler noch einmal an, bevor sie den Griff um seine Kehle endlich lockerte. Ihre Nägel hatten blutige Abdrücke in der bleichen Haut hinterlassen. Tristan senkte die Arme, sodass die Bücher langsam zu Boden sanken. Dankbar blickte er mich an, sagte aber nichts. Wir wussten beide, dass wir uns mit der Feuermacherin nach wie vor auf sehr dünnem Eis bewegten.
»Geh in die Küche und hilf Gabriel«, sagte ich, um ihm einen Vorwand zu geben, sich aus dem Staub zu machen. »Ich bleibe solange hier bei Mira.«
Tristan nickte und schlüpfte, so schnell er konnte, aus dem Zimmer, doch diese Bewegung schien Mira wieder aus dem Tritt zu bringen. Ruckartig hob sie den Kopf und entwand sich meinem Griff. Wütend starrte sie mich an, während sie an die gegenüberliegende Seite des Raums zurückwich.
»Warum? Damit du mich umbringen kannst?«, schleuderte sie mir entgegen, doch bevor ich etwas erwidern konnte, wirbelte sie herum und brüllte in die leere Zimmerecke: »Halt die Klappe! Du weißt doch gar nicht, wovon du da redest. Danaus würde sie nie anfassen! Er ist nicht wie du.«
»Wer ist gerade hier bei uns?«, fragte ich vorsichtig, während ich mir insgeheim wünschte, ich könnte ein Messer ziehen, ohne befürchten zu müssen, dass der Anblick der Waffe sie noch mehr in Rage bringen würde.
»Nerian«, fauchte sie laut. Zugleich tat sie etwas äußerst Merkwürdiges. Sie streckte die Hand hinter den Rücken und wich ein paar Schritte zurück, als schiebe sie jemanden hinter sich, um ihn zu beschützen. Außer Nerian sah sie ganz offenbar noch jemanden im Raum.
»Mira, Nerian ist tot«, sagte ich fest.
»Das dachte ich auch, aber er steht da drüben genau vor mir«, sagte sie und deutete mit der Hand, die nicht damit beschäftigt war, die zweite unsichtbare Gestalt hinter ihrem Rücken zu verstecken. »Er ist schon den ganzen verdammten Tag hier.«
»Wie meinst du das, den ganzen Tag? Hattest du wieder einen deiner Träume?«
»Das ist kein Traum! Er steht genau da!«, schrie sie und zeigte wieder ins Leere.
Ich trat stirnrunzelnd an die Stelle, auf die sie deutete, und stellte mich genau dort hin. »Er ist nicht da, Mira. Du hast ihn getötet. Im Juli, in meinem Haus. Du hast ihm die Kehle herausgerissen und die Leiche zu Asche verbrannt. Nerian ist tot, ein für alle Mal.«
Der Finger, mit dem sie auf mich zeigte, begann unkontrolliert zu zittern, als ihr eine einsame blutrote Träne über die bleiche Wange rann. »Aber ich kann ihn doch hören. Ich höre, wie er lacht und sich über mich lustig macht. Er hat die anderen überredet, mich zu töten. Und auch … «
»Wen hast du noch bei dir?«
Mira senkte kurz den Blick und wich einen Schritt zurück, als wollte sie die unsichtbare Gestalt noch besser schützen. Plötzlich hob sie den Kopf und sah mir geradewegs in die Augen, während sie mit der freien Hand ein langes Messer aus der Scheide in ihrem Kreuz zog.
»Und du bist auch nur hier, um uns beide umzubringen!«
»Nein, bin ich nicht. Mira, du redest wirres Zeug.«
»Natürlich bist du das. Du bist ein Jäger. Du kannst nicht aus deiner Haut«, gellte Mira. Kreischend schwang sie die Klinge und wollte mir den Kopf von den Schultern trennen. Ich überlebte den Streich nur, weil sie erschöpft war und sich nicht mit der gewohnten Schnelligkeit bewegte. Es gelang mir, mich aus der Schusslinie zu bringen und wieder aufzurappeln. Jetzt hätte ich gerne ebenfalls ein Messer gehabt, aber ich wusste, dass das die Situation nur verschlimmern würde.
Als sie mich zurückdrängte, trat ein schwaches Leuchten in die
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