Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
Augen der Nachtwandlerin. Zwischen den Sesseln und dem großen Schreibtisch, der den Raum beherrschte, blieb mir kein Platz zum Ausweichen. Ich versuchte, nicht zurückzuweichen und mir irgendeinen Trick einfallen zu lassen, um Mira aus ihrem Wahn zu reißen. Wieder schlug sie nach mir. Die Klinge sauste pfeifend durch die Luft, als sie auf mich niederfuhr. Wieder wich ich aus, doch diesmal konterte sie mit einem Stich nach meinem Bauch. Ich erwischte sie gerade noch mit beiden Händen am Unterarm, sodass die Dolchspitze, kurz bevor sie meine Haut durchbohrte, in der Luft verharrte. Mit aller noch verbliebenen Kraft trieb sie mich weiter zurück. Langsam gewann sie die Oberhand.
IchkniffdieAugenzusammen,ließmeineKraftausströmenundstellteeineVerbindungzuihrher.MeineEnergieströmteinihrenKörperundergriffBesitzvonihr.MirastießeinenweiterengequältenSchreiaus,derdurchdasHaushallte.Siekämpftegegenmichan,versuchte,michauszusperren,dochsiewarzuschwach.Allesanderewäremirliebergewesen,abersieließmirkeineandereWahl.StückfürStückzwangichsie,dasMesserzurückzuziehen,bevorichesihrendlichentreißenkonnte.
Zu meiner Überraschung brachte sie aber noch genug Kraft auf, mich an der Jacke zu packen und quer durch den Raum zu schleudern, sodass ich in die Bücherregale krachte. Bücher purzelten mir auf Kopf und Schultern, während ich mich mühsam aufrichtete.
»Nein!«, schrie sie, das Gesicht vor Angst und Wut verzerrt. Ich sah mich um und erkannte, dass ich genau an der Stelle stand, wo kurz zuvor noch Mira gewesen war. »Du wirst die Finger von ihr lassen!« Sie reckte die Hände. Gewaltige Feuerbälle blähten sich. Sie wirbelten so schnell um ihren Körper, dass Miras Hände im auffrischenden Wind zu frösteln begannen. Ihre Augen glühten jetzt intensiver, aber zugleich schien sie noch bleicher zu werden. Bald würde sie vor Erschöpfung zusammenbrechen, aber ich war mir sehr sicher, dass sie noch genug Kraft hatte, um mich zuerst zu vernichten, wenn sie es darauf anlegte. Selbst wenn ich wieder Besitz von ihr ergreifen würde, würde das nichts an der rasenden Wut ändern, die in ihr tobte. Von diesen Feinden konnte ich sie nicht befreien.
»Mira, wir sind ganz allein in diesem Zimmer. Wem soll ich denn gefährlich werden?«
Das Leuchten in ihren Augen wurde ein wenig schwächer. Sie sah aus, als hätte ich ihr aus heiterem Himmel eine Ohrfeige versetzt. »Calla ist hier«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Er will Calla wehtun.«
Diesen Namen hatte ich noch nie zuvor gehört, aber aus irgendeinem Grund setzte mein Herz einen Schlag aus. Miras Furcht erfüllte den Raum und verdrängte für einen Moment sogar den Hunger. Wer auch immer Calla war, für Mira gab es nichts Wichtigeres. Sie war so besorgt um Calla, dass sie sogar auf die Menschen losging, denen sie sonst am meisten vertraute – sogar auf mich.
»Wer ist Calla?«
Mira legte eine Hand an die Schläfe und schüttelte den Kopf, als wollte sie das Chaos in ihren Gedanken ein für alle Mal loswerden. Noch mehr Tränen liefen ihr über die Wangen, dann begann auch die andere Hand zu zittern. Die Feuerbälle kreisten langsamer um ihren Körper.
»Wer ist Calla, Mira?«
»Sie ist meine Tochter«, flüsterte sie heiser. »Bitte, Danaus, tu meiner Tochter nichts.«
Ich starrte die Nachtwandlerin an und traute mich nicht, etwas zu sagen. Mira hatte mir erzählt, dass sie vor ihrer Wiedergeburt als Nachtwandlerin ein anderes Leben geführt hatte. Dass sie tatsächlich eine Tochter gehabt haben könnte, war mir nie in den Sinn gekommen. Und jetzt wollte ich ihr wahrhaftig nicht erzählen müssen, dass ihre Tochter bereits vor Hunderten von Jahren gestorben war.
Langsam durchquerte ich den Raum und stellte mich vor die Nachtwandlerin, die schon so oft für mich gekämpft und mich beschützt hatte. Ich streckte die Arme über die Feuerbälle hinweg, die inzwischen zum Stillstand gekommen waren, nahm ihr Gesicht in meine Hände und strich ihr mit den Daumen die Tränen weg. Sie erzitterte bei meiner Berührung, wich aber nicht vor mir zurück, als ich sie mit sanftem Druck zwang, mich anzusehen. Ich sah den Schmerz in den weit aufgerissenen violetten Augen. In diesem Moment fragte ich mich, ob der Hunger sie wahnsinnig gemacht hatte. Dass sie sich so standhaft weigerte, sich zu kräftigen, ergab einfach keinen Sinn. Früher hatte sie meine Gegenwart nie vom Trinken abgehalten. Warum sollte das jetzt anders sein? Es sei denn, ihre Zurückhaltung hatte
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