Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
schützte diejenigen, von denen sie glaubte, dass sie ihren Schutz nötig hatten, selbst wenn sie dabei Kopf und Kragen riskierte. Aber irgendwann würde ich sie noch stellen.
19
Kaum zwei Stunden nach Miras Anruf breitete ich meine Kräfte aus und ließ meinen sechsten Sinn durch die Stadt kriechen wie eine Spinne, die ihr Netz hinter sich webt. Die Sonne war erst vor zwanzig Minuten untergegangen, daher spürte ich in der unmittelbaren Umgebung keine Vampire. Das brachte mich auf die interessante Frage, ob überhaupt einer von ihnen seine Zuflucht in der Innenstadt eingerichtet hatte. Natürlich hatte ich sofort wieder Miras Ermahnung im Ohr: Iss nie dort, wo du schläfst! Und die Innenstadt war einer der bevorzugten Jagdgründe der Nachtwandler.
Die erste schwache Ahnung von Miras Erscheinen erhaschte ich ein paar Blocks weiter weg, doch sie kam rasch näher. Dem Tempo nach zu urteilen, war sie mit dem Auto unterwegs. Ich entspannte mich innerlich, als ich ihre Anwesenheit spürte, als hätte sich die Anspannung in mir zu einem festen Knoten geschnürt, der sich jetzt löste. Zwar konnte ich ihre Gedanken nicht lesen, aber immerhin erreichten mich kurze Eindrücke von ihren Gefühlen. Sie war ruhig, aber weder besonders glücklich noch besonders traurig. Doch unter der ruhigen Oberfläche lauerte ein alles verschlingender roter Nebel. Zuerst dachte ich an ein tief sitzendes, schwelendes Wutgefühl, vielleicht ihr Hass auf die Naturi oder Jabari, aber das passte nicht ganz.
Als sie nur noch ein paar Häuserblocks entfernt war, wurde das Gefühl intensiver und klarer – sie hatte Hunger. Sie hungerte sogar. Die Gier fraß sie innerlich fast auf. Sie musste sich dringend kräftigen.
Ich zog meine Kräfte zurück und holte tief Luft, um mich zu entspannen. Ich errichtete dicke Mauern um meine Gedanken, die alle äußeren Einflüsse ausblenden sollten, doch es dauerte noch eine weitere volle Minute, bevor der Eindruck dieses roten Nebels aus meinem Kopf verschwunden war. Als ich den Blick senkte, bemerkte ich, dass meine Hände zitterten.
DasErlebniserinnertemichdaran,wieichvorJahrhundertenmeinenerstenVampirgesehenhatte.EswareinigeStundenvorSonnenaufganggewesen.IchhatteeinenleerenPlatzbetreten,derbisaufdasPlätscherneinesnahegelegenenBrunnensvollkommenstillwar.EinbleicherMannineinerPurpurrobewarausdemSchattengetreten,undsofortereiltemichdieroteFlutseinesHungergefühls.FasthättenmirdieBeinedenDienstversagt.IchstolperteeinpaarSchrittezurück.ErstrecktelockenddieHandnacheinerFrauaus,diesichihmwieinTrancenäherte.IhrGesichtwarvölligausdruckslos,dieAugenweitaufgerissenundleer.BevorersiemitsichindiedunklenSchattenderGasseriss,ausderergekommenwar,sahermichanundlächelte.
Ich spürte es, als er in ihren Hals biss. Ich spürte es, als er ihr das Blut aus dem Körper saugte und den eigenen kalten Leib damit sättigte. Es war dieselbe feuchte Wärme gewesen, die mich übermannte, als ich mit Mira die Erstkommunion besucht hatte. Seine Hitze jedoch hatte nichts Verführerisches an sich gehabt. Entsetzen war alles, was ich empfand, als mir klar wurde, dass es derartige Wesen wirklich gab und dass ich irgendwie mit ihnen verbunden war. Ich konnte sie spüren und erkannte ihre Andersartigkeit. In einem Raum voller Menschen konnte ich mit geschlossenen Augen den einzigen Nachtwandler ausfindig machen. Ihre Gefühle trieben wie Frauenparfüm auf dem Wind zu mir herüber.
Doch stets war es der Hunger, den ich am deutlichsten spürte. Ich konnte den Schmerz fühlen, den unablässigen Drang, die ausschließliche Fixierung, die alle anderen Gedanken verdrängen konnte. In solchen Regungen konnte ich nahezu ertrinken, bis es mir vorkam, als wären es meine eigenen. Es war ein zweischneidiges Schwert. Nicht nur den besinnungslosen Schmerz konnte ich empfangen, ich hatte auch an dem überwältigenden Gefühl der Befriedigung teil, das sich einstellte, wenn die Ausgehungerten endlich ihren Durst stillten. Bis zur Erstkommunion jedoch hatte ich nie ganz begriffen, wie intensiv dieses Gefühl wirklich war.
Ich gab mir einen Ruck, warf mir die Jacke über und schloss rasch das Haus hinter mir ab. Als ich gerade von der Veranda steigen wollte, fuhr Mira vor dem Haus auf den Kantstein.
»Was bist du nur für ein Schlitzohr!«, neckte sie mich, als ich auf den Beifahrersitz glitt. »Du hast mir nachspioniert.«
Ich war Mira nicht ohne Absicht auf der Straße entgegengetreten. Im Haus hätte sie Peters Geruch gewittert, und ich war mir
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