Jägerin des Herzens
hatte seine Kleider ausgebürstet und gebügelt und Alex die präziseste Rasur seines Lebens verpasst. Dienstboten hatten ihm ein Bad mit heißem Wasser eingelassen und ihn mit flauschigen Handtüchern, Seife und teurem Eau de Cologne versorgt.
Keiner von ihnen hatte auf seine Frage, wo denn Craven die Nacht verbracht habe, geantwortet. Alex hatte sich verwundert gefragt welche Motive der Mann wohl gehabt hatte und warum er keinerlei Ansprüche auf Lily stellte, obwohl er sie doch offensichtlich liebte. Warum drängte er sie in die Arme eines anderen Mannes und bestand sogar noch darauf, ihnen seine eigene Wohnung zur Verfügung zu stellen? Craven war ein seltsamer Mann – gemein, grob, gierig und undurchschaubar. Alex hätte nur zu gerne mehr über Lilys Beziehung zu Craven gewusst. Er nahm sich vor, sie über ihre seltsame Freundschaft auszufragen.
Mit den Händen in den Taschen schlenderte Alex durch das Haus. Da er so plötzlich aufgetaucht war, waren die meisten Möbel noch mit gestreiften Leinenhüllen abgedeckt, damit sie nicht verstaubten. Die Räume waren in kühlen Pastelltönen gestrichen, auf den Parkettböden lagen Orientteppiche. In jedem Schlafzimmer gab es einen Marmorkamin und ein großes, angrenzendes Ankleidezimmer. Alex’ Zimmer war besonders groß mit einer Decke, die wie ein blauer Himmel mit Wölkchen bemalt war. Das Kernstück des Herrenhauses war ein eleganter Ballsaal in Gold und Weiß, mit hohen Marmorsäulen, reich verzierten Kronleuchtern und opulenten Familienporträts.
Alex hatte einige Zeit hier gewohnt, als er Caroline den Hof gemacht hatte. Er war auf Bälle und Soireen gegangen, die Caroline mit ihrer Familie besucht hatte. Sie hatte mit ihm in diesem Ballsaal getanzt und ihr bernsteinfarbenes Haar hatte im Schein der Kerzen geleuchtet. Nach ihrem Tod hatte er das Haus gemieden und war vor den Erinnerungen geflohen, die wie ein leiser Parfümhauch in allen Räumen zu hängen schienen. Doch während er jetzt durch das Haus ging, schmerzten ihn die fernen Erinnerungen nicht mehr, und er empfand nur noch eine leise, süße Wehmut.
Er wollte Lily hierher holen. Er konnte sie sich gut als Gastgeberin bei einem Ball vorstellen, wie sie sich mit ihrem strahlenden Lächeln und ihrem lebhaften Geplauder zwischen den Gästen bewegte, die dunkle Schönheit hervorgehoben durch ein weißes Seidenkleid. Der Gedanke an sie belebte ihn und erfüllte ihn mit Neugier. Er fragte sich, was wohl in ihrem Kopf vorging und wie ihre Laune heute früh gewesen war. Er hatte sich geärgert als er aufwachte und sie nicht mehr da war. Er hätte so gerne ihren nackten Körper bei Tageslicht gesehen und sie noch einmal geliebt. Er wollte seinen Namen aus ihrem Mund hören, ihre Finger in seinem Haar spüren und …
»Mylord?« Mrs. Hodges war ihm nachgegangen. »Mylord, ein Besucher ist gekommen.«
Sein Herz schlug schneller. Alex eilte an der Haushälterin vorbei und stieg die große Freitreppe mit dem schmiedeeisernen Rokokogeländer hinunter. Rasch trat er durch die innere Halle in die Eingangshalle mit den bemalten Paneelen. Abrupt blieb er stehen, als er den Besucher sah.
»Zum Teufel«, murmelte er. Nicht Lily, sondern sein Vetter Roscoe, Lord Lyon, den er schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatte.
Ross, ein gut aussehender und ungewöhnlich übersättigter junger Mann, war einer von Alex’ ersten Vettern mütterlicherseits. Groß, blond, mit einem beträchtlichen Vermögen und reichlich Charme ausgestattet war er der Liebling aristokratischer Frauen mit unaufmerksamen Ehemännern. Er hatte zahlreiche Affären gehabt war durch die ganze Welt gereist und hatte eine Vielzahl von Erfahrungen gesammelt die ihn äußerst zynisch gemacht hatten.
In der Familie hieß es, Ross sei vom Leben gelangweilt seit er fünf war.
»Du besuchst mich doch nur, wenn du etwas willst«, sagte Alex barsch. »Was gibt es?«
Ross grinste. »Das klingt aber nicht nach Begeisterung, Cousin. Erwartest du etwa jemand anderen?« Ross antwortete immer mit Fragen auf Fragen – einer der Gründe dafür, dass sein Aufenthalt beim Militär nur von kurzer Dauer gewesen war.
»Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, fragte Alex.
»Gesunder Menschenverstand. An einem der zwei Orte musstest du sein … entweder hier oder eingekuschelt in zwei liebliche Arme und an einem kleinen, aber entzückenden Busen. Ich beschloss, es zuerst hier zu versuchen.«
»Anscheinend hast du von gestern Abend gehört.«
Alex’
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