Jägerin des Herzens
ihnen deutlich an, was sie dachten.
»Ich nehme eine«, sagte Lord Cobham.
Lily nahm einen Schluck Brandy und musterte sein Gesicht. Sie lächelte leise, als sie bemerkte, dass sein Blick schon wieder zu den grünen Samtblättern schweifte, die ihre Brüste bedeckten. Das kleine Zimmer war voller Männer. Lily wusste, dass alle sie anstarrten, aber es war ihr egal. Mittlerweile war sie über die Grenzen der Scham oder des Anstands hinaus – sie dachte nur an das Geld. Wenn ihr ihre Aufmachung dabei half, das Geld zu bekommen, das Giuseppe verlangte, dann war es eben so. Sie würde alles tun, um Nicole zu retten, sogar die letzten Reste ihres Stolzes opfern. Später könnte ihr dann bei der Erinnerung daran immer noch die Schamesröte ins Gesicht steigen, aber jetzt …
»Ich nehme eine«, sagte sie und legte eine Karte ab. Als sie nach der neuen Karte griff, zögerte sie auf einmal, weil sie einen Blick im Rücken spürte. Sie drehte langsam den Kopf und sah Alex auf der Türschwelle stehen. Kein gefallener Engel aus der Bibel hätte prächtiger aussehen können – seine Haare und seine Haut schimmerten wie pures Gold gegen die blutroten Kleider, die er trug. Seine grauen Augen loderten unheilverkündend, als er ihren kaum verhüllten Körper sah »Miss Lawson«, sagte er mit beherrschter Stimme, »kann ich Euch kurz sprechen?«
Sein Blick bereitete Lily Unbehagen. Wie gelähmt saß sie auf ihrem Stuhl und hätte sich am liebsten unter den Tisch verkrochen. Stattdessen setzte sie all ihre schauspielerischen Fähigkeiten ein, um möglichst gleichgültig zu wirken. »Später vielleicht«, murmelte sie und wandte sich wieder ihren Karten zu. »Euer Spiel, Cobham.«
Cobham rührte sich jedoch nicht, sondern blickte ebenso wie alle anderen gebannt auf Alex.
Alex’ Blick ließ Lily nicht los. »Nein, jetzt«, sagte er leise. Mit seiner Stimme hätte man Glas schneiden können.
Lily starrte ihn an, während ihr Publikum dem Wortwechsel mit größtem Interesse folgte. Der verdammte Kerl!
Vor allen anderen so mit ihr zu reden, als sei sie sein Eigentum! Nun, Worthy war ja da, und es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Spiel nicht gestört wurde. Worthy würde nicht zulassen, dass Alex ihr etwas tat.
Schließlich war sie Mitglied des Clubs! Sie lächelte Alex spöttisch an. »Ich spiele gerade.«
»Nein, Ihr geht gerade«, erwiderte er knapp. Lily keuchte überrascht als er ihr die Karten aus der Hand nahm und auf den Tisch warf. Sie ergriff ihren Apfel und warf ihn nach ihm, aber er duckte sich rasch. Blitzschnell legte er ihr seinen roten Umhang über die Schultern und wickelte sie so darin ein, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte.
Sie kreischte und strampelte heftig, als er sie sich einfach über die Schulter warf. Die Perücke glitt ihr vom Kopf und fiel zu Boden.
»Entschuldigt bitte Miss Lawson«, sagte Alex zu den Männern am Tisch. »Sie hat beschlossen, für heute Abend mit dem Spielen aufzuhören. Au revoir.« Und unter den erstaunten Blicken aller trug er die strampelnde, schreiende Lily aus dem Zimmer.
»Lass mich sofort herunter, du arroganter Bastard! Entführung ist strafbar! Ich lasse dich verhaften, du hochnäsiger Flegel! Worthy, tut doch etwas! Wo, zum Teufel, seid Ihr denn? Derek Craven, du abscheulicher, stinkender Feigling, komm und hilf mir! … Verdammt sollt ihr alle sein!«
Vorsichtig folgte Worthy Alex, wobei er zögerlich versuchte, ihn aufzuhalten. »Lord Raiford? … ähm, Lord Raiford …«
»Jemand sollte eine Pistole holen«, schrie Lily, aber da hatte er sie schon in die Halle getragen.
Der alte Lord Cobham, der immer noch am Kartentisch saß, klappte seinen Mund zu und zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht ist es ja gut so«, bemerkte er. »Ich sollte. jetzt besser weiterspielen. Großartiges Mädchen, aber nicht in der Lage, vernünftig zu denken.«
»Wohl wahr«, erwiderte der Earl von Nottingham und kratzte sich den weißen Kopf. »Andererseits tut sie meiner Libido endlos gut.«
Die Männer schmunzelten und nickten zustimmend. Dann teilten sie neue Karten aus.
In die Musikklänge im Ballsaal mischte sich eine weibliche Stimme, die immer lauter und lauter wurde und Obszönitäten schrie. Ein paar der Musiker hörten auf zu spielen, stockten und blickten verwirrt in den Ballsaal. Auf ein Zeichen von Derek hin spielten sie zwar weiter, verrenkten sich aber dennoch die Hälse, um zu sehen, was los war.
Derek lehnte an einer Merkurstatue und
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