Jagd auf Roter Oktober
die Reaktorhülle, um mit dem abnehmbaren Zählrohr seines Geigerzählers über jede Schweißnaht an den Rohren zu fahren. Der Lautstärkeregler an dem Gerät war voll aufgedreht, damit alle Anwesenden mithören konnten; Swijadow trug zudem einen Ohrhörer. Der Leutnant, ein junger Mann von einundzwanzig, war nervös. Nur ein Narr wiegte sich bei der Suche nach einem Strahlungsleck in Sicherheit. In der sowjetischen Marine erzählte man sich folgenden Witz: Wie erkennt man einen Matrosen von der Nordflotte? Er leuchtet im Dunkeln. Bei Kameradschaftsabenden hatte Swijadow das komisch gefunden, nun aber nicht. Er wusste, dass man ihn nur mit der Suche beauftragt hatte, weil er der jüngste, unerfahrenste und entbehrlichste Offizier war.
Ganz stumm blieb der Zähler nicht. Swijadow krampfte sich jedes Mal der Magen zusammen, wenn ein vereinzeltes Partikel das ionisierte Gas im Zählrohr durchdrang und ein Knacken im Gerätelautsprecher auslöste. Alle paar Sekunden fiel sein Blick auf das Ableseinstrument, das die Intensität der Strahlung anzeigte. Die Nadel war im sicheren Bereich und schlug kaum aus. Die Reaktorhülle setzte sich aus vier mehrere Zentimeter starken Edelstahlschichten zusammen, deren Zwischenräume jeweils mit Barium-Wasser-Gemisch, Blei und Polyäthylen ausgefüllt waren, um Neutronen und Gammastrahlung am Entweichen zu hindern. Diese Kombination aus Stahl, Barium, Blei und Kunststoff dämmte die bei der Kernreaktion auftretenden gefährlichen Strahlen ein und ließ nur schwache Hitze entweichen. Swijadow stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Strahlungsintensität niedriger war als am Strand in Sotschi. Den höchsten Wert las er nahe einer Glühbirne ab.
»Alle Werte normal«, meldete der Leutnant.
»Wiederholen Sie die Prozedur«, befahl Melechin. »Ganz von vorne.«
Zwanzig Minuten später kam Swijadow nass geschwitzt und mit steifen Gliedern heruntergeklettert und meldete erneut einen negativen Befund.
»Genehmigen Sie sich eine Zigarette«, schlug Ramius vor. »Das haben Sie gut gemacht.«
»Danke, Genosse Kapitän. Die Lampen und Kühlmittelrohre entwickeln da oben eine ganz schöne Hitze.« Der Leutnant reichte Melechin den Geigerzähler. Das untere Ableseinstrument zeigte einen niedrigen Gesamtwert an.
»Wahrscheinlich verseuchte Dosimeter«, kommentierte der Chefingenieur säuerlich. »Wäre nicht das erste Mal. Wer daran schuld ist, hat eine Kugel verdient.«
Ramius lächelte. »Erinnern Sie sich noch an den Unfall auf der Lenin?« Er bezog sich auf den atomgetriebenen Eisbrecher, der wegen eines Reaktorzwischenfalls zwei Jahre lang ungenutzt im Hafen gelegen hatte. »Ein Smutje hatte verkrustete Töpfe, und ein wahnwitziger Ingenieur schlug ihm vor, sie doch mit heißem Dampf zu reinigen. Und dieser Idiot marschierte doch tatsächlich zum Dampferzeuger, drehte ein Inspektionsventil auf und hielt seine Töpfe darunter!«
Melechin verdrehte die Augen. »Und ob ich mich daran erinnere! Der Kapitän hatte unbedingt einen Koch aus Kasachstan haben wollen –«
»Weil er gerne Pferdefleisch aß«, warf Ramius ein.
» – und dieser Idiot hatte natürlich keine Ahnung von einem Schiff. Brachte sich selbst und drei andere um und verseuchte den ganzen Raum für zwölf Monate. Der Kapitän wurde erst letztes Jahr aus dem Straflager entlassen.«
»Die Töpfe sind aber bestimmt sauber geworden«, merkte Ramius an.
»Allerdings, Marko Alexandrowitsch – und in fünfzig Jahren vielleicht auch wieder verwendbar.« Melechin lachte rau. Dann wandte er sich an den von dieser Unterhaltung etwas eingeschüchterten Leutnant. »So, jetzt prüfen wir die Rohre im Generatorraum. Kommen Sie, Swijadow, wir brauchen Ihre jungen Beine.«
Der nächste, achtern gelegene Raum enthielt Wärmetauscher, Dampferzeuger, Wechselstrom-Turbogeneratoren und Hilfsmaschinen. Die Hauptturbinen waren im nächsten Raum und standen still, solange die elektrisch angetriebene Raupe lief. Sie wurden von Dampf aus dem Sekundärkreislauf angetrieben, der keine Radioaktivität enthielt. Radioaktiv war nur der Primärkreislauf. Das Kühlmittel, das kurzlebige, aber gefährliche Radioaktivität mitführte, verdampfte nie. Dampf wurde nur im Sekundärkreislauf aus Frischwasser erzeugt. Aufeinander trafen die beiden Kreisläufe im Wärmetauscher, wo ein Leck wegen der zahlreichen Rohrverbindungen und Ventile am wahrscheinlichsten war.
Es dauerte fünfundfünfzig Minuten, bis das komplexe Röhrensystem überprüft war.
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