Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
entkernt und komplett neu ausgestattet worden. Bleibt nur zu hoffen, dachte Marty, dass der Fluch und die Geister zusammen mit dem alten Innenleben über Bord gegangen sind. Er flog die Libelle in die Doppelkabine, die er mit Luther teilte, und von dort aus durch die Verbindungstür in Grace’ Einzelkabine. Seine Ex-Schwester saß an einem kleinen Schreibtisch und kritzelte in ihr Moleskine-Heft.
Ihr Geburtstag!, schoss es Marty durch den Kopf. Ich muss unbedingt einen Kuchen backen!
Das bedeutete, dass er die Libelle zurückrufen und schleunigst unter Deck gehen musste. Denn so vielseitig das elektronische Insekt auch war – Kuchen backen konnte es noch nicht.
Zwei Minuten bevor der Libelle der Saft auszugehen drohte, landete Marty sie auf dem Gizmo und verstaute sie im Ladefach. Dann fasste er sich ein Herz und betrat den Schiffsbauch.
Der Geburtstagskuchen
Die Kombüse befand sich direkt neben der großen Kantine. Diese war im Moment gut besucht von Crewmitgliedern, die Kaffee tranken oder etwas aßen. Marty ließ seinen Blick schweifen, doch er kannte niemanden der Anwesenden. Das Essen wurde in Büffetform angeboten. Männer und Frauen in weißen Schürzen huschten zwischen der Kombüse und dem Büffet hin und her und füllten die Schalen und Töpfe nach.
Marty ging durch die Schwingtür in die Kombüse, in der Erwartung, dort Bertha Bishop anzutreffen, die die Köche und Kellner anleitete. Doch stattdessen stieß er auf einen kleinen Mann, der auf einem Schemel stand und seinen hektisch herumwuselnden Mitarbeitern harsche Anweisungen zubrüllte. Er war ziemlich pummelig, hatte fettige schwarze Haare, einen struppigen Bart, schiefe gelbe Zähne und dunkelbraune stechende Augen.
Als er Marty entdeckte, brüllte er: »Was hast du hier zu suchen? Zutritt nur für Küchenpersonal!« Mit dem Zeigefinger deutete er auf die Tür. »Raus, aber dalli!«
»Wo ist Bertha?« Marty versuchte das Dickerchen mit einem lutherähnlichen dümmlichen Grinsen zu besänftigen. Aber der Typ sprang nicht auf die Masche an.
Mit finsterer Miene hopste er von seinem Schemel und kam drohend auf Marty zugestiefelt. Es sah fast so aus, als wollte er ihn schlagen, aber Marty wich keinen Zentimeter zurück. Er hatte ein dringendes Backprojekt zu erledigen und nicht vor, sich davon abhalten zu lassen.
» Ich bin hier zuständig«, blaffte der Kerl. »Bertha ist mit Phil auf Cryptos geblieben.«
Das war Marty neu. Er hatte noch am Vortag mit Bertha gesprochen, die sich Sorgen gemacht hatte, dass das Kochen für eine fünfzigköpfige Crew sie überfordern könnte, woraufhin Marty angeboten hatte ihr so oft wie möglich zur Hand zu gehen.
Das Dickerchen deutete mit einer ausladenden Geste auf das Gewusel um ihn herum. »Im Übrigen glaube ich nicht, dass Bertha das hier in den Griff gekriegt hätte.«
Marty musste laut lachen, denn es gab nichts, aber auch gar nichts, das Bertha Bishop nicht in den Griff kriegte. Sie wäre spielend mit dem Chaos fertig geworden und hätte noch ganz nebenbei den grässlichen Küchenzwerg umgelegt – mit dem kleinen Finger. Der Lärm in der Kombüse war inzwischen komplett verstummt. Nicht ein Pfannenscheppern oder Töpfeklappern war mehr zu hören. Sämtliche Mitarbeiter verfolgten die Auseinandersetzung mit offenem Mund.
»Ich muss einen Geburtstagskuchen für meine Cousine Grace backen. Ich bin Marty O’Hara. Travis Wolfe ist mein …«, begann Marty.
»Ja, ja, ja, das wissen wir alle«, unterbrach ihn der Zwerg. »Er ist dein Onkel. Wow. Wir haben alle schon von dir und deiner naseweisen Cousine gehört.«
Es brauchte schon einiges, um Marty in Rage zu bringen, aber jetzt war eindeutig eine Grenze überschritten. Er ballte die Fäuste, sein Gesicht war purpurrot vor Wut. Es stimmte, Grace war manchmal ein bisschen schnippisch, aber das hatte einen guten Grund: Sie war schlauer als jeder andere, den er kannte. Und niemand hatte das Recht, sie als naseweis zu beschimpfen. Außer Marty. Und vielleicht Luther. Als Marty noch glaubte, Grace wäre seine Zwillingsschwester, hatte er sie stets verteidigt und in Schutz genommen, und er gedachte nicht, das zu ändern, nur weil sie jetzt seine Cousine war. Er warf einen raschen Blick auf die Arme des Mannes, um sicherzugehen, dass der kein Schlachtermesser oder Fleischerbeil in Händen hielt. Dann trat er einen Schritt auf ihn zu.
»Hey, was ist denn hier los?«, ertönte da plötzlich eine zornige Stimme und eine Sekunde später stürmte Alf Ikes
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