Jagdfieber
absoluten Tiefpunkt zu.
Victor, oder vielmehr seine Anwesenheit hier, versuchte sie weitestgehend auszublenden, weil es wahrscheinlich bis zu ihrem nächsten Leben dauern würde, bis sie ihm sein mieses Verhalten vom Nachmittag verziehen hatte. Was sich auch relativ einfach gestaltete, da er sich unmittelbar nach der überaus freundlichen Begrüßung der attraktiven Gastgeberin, Madeline Livingston, abgesetzt hatte. Wahrscheinlich saß er irgendwo mit einer Horde Schnösel zusammen und rieb sich innerlich die Hände, weil er es ihr heute Nachmittag so richtig gegeben hatte.
Je länger sie sich umsah, umso frustrierter wurde sie. Ausnahmslos jeder hatte Spaß, nur sie stand da wie ein Trauerkloß. Entschlossen, mögliche Verehrer nicht durch eine unnötig grimmige Miene in die Flucht zu schlagen, bemühte sie sich um einen möglichst einladenden Gesichtsausdruck. Sie würde Victor schon zeigen, dass es durchaus Männer gab, die sich nicht so zierten, wenn es um ein bisschen unverbindlichen Sex ging. Doch leider schienen die gutaussehenden Kerle allesamt in Damenbegleitung zu sein, und die Singles waren zu alt, zu dick oder schlicht zu unattraktiv, um infrage zu kommen. Was sie zusätzlich wurmte, war der Umstand, dass selbst ihr Vater sie im Stich ließ und sich auf eigene Faust hier herumtrieb, ohne sich um sie zu kümmern.
Paige begann sich zu wünschen, sie hätte Chloe Carter angerufen. Mit ihr an ihrer Seite wäre der Abend bestimmt nicht so ein Reinfall geworden. Plötzlich wurde sie stutzig. War sie das nicht eben gewesen? Eine zierliche Rothaarige wurde von einem großen blonden Mann – sie meinte in ihm Victors Bruder Ryan wiederzuerkennen – an der Hand durch die tanzende Menge geschoben. Bevor sie das Pärchen näher in Augenschein nehmen konnte, schob sich eine Gruppe von Personen vor Paiges Sichtfeld. Sie stieß einen ärgerlichen Laut aus, machte einen langen Hals und versuchte, zwischen den dichtgedrängten Körpern hindurchzuschauen. Vergeblich. Sie wurden einfach verschluckt, und als sich der Pulk wieder aufgelöst hatte, waren sie verschwunden.
Deprimiert lehnte sie sich gegen die kühle Wand und bemühte sich, den Kaviar nicht auf dem Boden zu verteilen. Missmutig schaufelte sie noch ein paar Fischeier auf ihren Perlmuttlöffel und bugsierte den angehäuften Berg in ihren Mund. Leider gehörte sie nicht zu den Frauen, die asketisch leidend jegliche Nahrungsaufnahme verweigerten, sobald sie Stress wegen eines Mannes hatten, sondern sie mutierte zur Frust-Esserin. Kauend rief sie sich die kurze Episode in Victors Arbeitszimmer wieder in Erinnerung, obwohl das nicht dazu beitrug, ihre miese Stimmung zu heben. Die Einzelheiten des Gesprächs lagen ihr immer noch schwer im Magen, sodass sich der russische Kaviar, auf dem sie gerade so lustlos herumkaute, anfühlte wie eine Ladung getrockneter Mehlwürmer. Sie schluckte mühsam, stellte das Schälchen auf dem hüfthohen Tischchen neben ihr ab und griff nach ihrem Champagnerglas, um den salzigen Geschmack mit einem kühlen Schluck wegzuspülen.
„Ich muss schon sagen, heute Abend werden meine Augen wirklich mit bezaubernden Schönheiten verwöhnt. Wo haben Sie nur mein ganzes Leben lang gesteckt?“
Paige erschrak so sehr, dass sie sich verschluckte, hustete und schließlich nach Luft rang. Sobald sie sich ein wenig gefangen hatte, drehte sie sich zur Seite, um zu sehen, wer sie gerade mit diesem klischeehaften Satz aus ihrer geknickten Stimmung gerissen hatte. Ihr scharfer Blick erfasste einen äußerst attraktiven Mann, der sie mit einem derart begeisterten Lächeln taxierte, dass sie ein Grinsen unterdrücken musste. Obwohl er sie so unverschämt anstarrte und sie geistig zweifellos bis auf den letzten Faden auszog, hatte er etwas Sympathisches an sich.
„Dallas, Texas“, antwortete sie burschikos und mit extrabreitem Akzent.
Sie musterte ihn eingehend und ließ sich Zeit dabei. Er war fast zwei Köpfe größer als sie, hatte breite Schultern und einen athletischen Körper, der in dem Smoking besonders gut zur Geltung kam. Seidiges dunkelbraunes Haar lag um seinen Kopf, jede Strähne saß perfekt und war von einem versierten Friseur wirkungsvoll in Form getrimmt worden. Sein Gesicht war der Kracher. Er besaß außergewöhnlich hohe Wangenknochen, fast schon slawisch, die Lippen lächelten ihr sinnlich geformt zu und luden zum Küssen ein. Auch seine Nase war perfekt, nicht zu breit und nicht zu schmal. Die Harmonie seiner Züge war wirklich
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