Jagdfieber
davon würde Leanne es früher oder später ohnehin herausfinden. London war ein Dorf, jeder kannte jeden, und das Klatschvieh würde sicher schon bald die neue Liebe ihres Vaters in den Boulevardblättern ausschlachten, indem sie auch die gehörnte Ehefrau mit hineinzogen. Leanne war immer für eine Schlagzeile gut, und die Presse lauerte nur auf einen neuen Skandal, nachdem jetzt endlich ein wenig Ruhe eingekehrt war.
„Zu sagen, dass ich sie kenne, wäre maßlos übertrieben“, antwortete sie daher ehrlich, denn sie hatte bisher tatsächlich nicht mehr als ein paar unverbindliche Sätze mit Madeline gewechselt. „Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sich das in absehbarer Zeit ändern wird“, meinte sie etwas vorsichtiger. „Dad ist in den letzten Tagen öfter mit ihr ausgegangen.“
Leannes Lächeln gefror, und ihr Gesicht verwandelte sich in eine undurchdringliche Maske.
„Ich verstehe …“, kommentierte sie tonlos und lächelte dann verkrampft. „Nun weiß ich wenigstens, warum sie in den letzten Tagen keine Zeit hat und auch nie ans Telefon geht.“
Paige fühlte sich unwohl, weil ausgerechnet sie diejenige war, die ihrer Mutter reinen Wein einschenkte. Es war mehr als offensichtlich, dass Madelines Verhalten sie tief verletzte. Oder war es eher der Umstand, dass Ross mit ihr ausging?
„Es tut mir leid, dass du es auf diese Art erfahren musst“, sagte sie mit hörbarer Zerknirschung in der Stimme und wünschte sich, sie hätte das Thema niemals angeschnitten. Leanne wirkte immer noch unglaublich betroffen, und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Gesichtszüge wieder einigermaßen unter Kontrolle bekam. Ihre Augen huschten unruhig hin und her, blieben aber schlussendlich an Paiges Gesicht hängen, die ihre Mutter mit wachsender Sorge beobachtete. Leanne schien das zu merken und rang mit den Händen, ehe sie diese ineinander verschränkte und ihr jenes künstliche Lächeln schenkte, das irgendwie alle Schauspieler im Blut hatten.
The Show must go on …
Ihre Mutter erweckte diese Maxime auf geradezu meisterliche Art und Weise zum Leben und trieb das Spiel noch auf die Spitze: „Dein Vater kann sich treffen, mit wem er will“, erklärte sie überzeugend, aber nicht überzeugend genug, um Paige zu täuschen.
„Du hast also nichts dagegen?“, hakte sie mit hörbarer Skepsis in der Stimme nach.
Leannes Miene blieb undurchsichtig. „Wenn Ross unbedingt mit Madeline ausgehen will, dann soll er das machen. Ich hätte nur niemals gedacht, dass sie mir derart in den Rücken fällt. Immerhin ist er auf dem Papier noch immer mein Ehemann, und wenn die Presse spitzkriegt, dass sie sich mit ihm trifft, werden mich diese Geier niemals in Ruhe lassen. Die Schlagzeilen sehe ich schon vor mir: Ashley Dubois, die betrogene Ehefrau … “, rief sie mit übertriebener Dramatik. „Aber wie sagt man so schön: Freund oder Feind liegen oft ganz nah beieinander, man weiß nie, wem man gerade gegenübersteht.“
Sie unterbrach sich, als würde jedes weitere Wort zu viel über ihre Gefühle verraten. Paige konnte ihre Verbitterung nachvollziehen. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass es nicht allein um den Treuebruch einer guten Freundin ging, sondern um weit mehr. Laut Ross verband ihn mit Leanne nichts, was über Hass und Feindseligkeit hinausging. Das hatte er in den letzten Wochen mehrmals betont und dabei so unversöhnlich und unerbittlich gewirkt, dass keine Zweifel mehr über seine Gefühle aufkommen konnten. Doch war Leannes Einstellung dieselbe?
Paige suchte im Gesicht ihrer Mutter nach Antworten und fand mehr, als sie erwartet hatte. Sie fühlte noch etwas für Ross. Wenn schon keine Liebe, dann zumindest Begehren.
Freund oder Feind, Hass oder Leidenschaft. Die Grenzen, die diese starken zwischenmenschlichen Beziehungen und Gefühle trennten, waren so fließend, dass man sie oft nicht mehr unterscheiden konnte. Auch ihre Eltern schienen sich in diesem Gefühlsdschungel verstrickt zu haben, und Paige hoffte inständig, dass ihr Vater Madeline Livingston nicht dafür benutzte, um Leanne wehzutun. Sie beschloss, das Gesprächsthema auf eine ungefährlichere Ebene zu verlegen, denn die komplizierte Beziehung zwischen Ross und Leanne war nicht ihre Baustelle. Sie hatte genug eigene Probleme, und so sehr sie die verkorkste Lage zwischen ihren Eltern auch bedauerte, so wollte sie sich keinesfalls in den Part des Schlichters drängen lassen. Paige räusperte sich betont. „Warum lassen
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