Jagdhunde (German Edition)
an sie drücken, um Platz darunter zu finden.
»Hattest du später noch einmal Kontakt zu ihrer Familie?«, fragte Suzanne.
»Ein wenig«, erwiderte er und musste daran denken, dass ein Mord immer mehrere Gesichter hatte. In der Cecilia-Sache waren es fünf gewesen. Mutter, Vater, Bruder, Freund und das blau-kalte, steife Gesicht von Cecilia Linde. »Ihre Mutter schickt jedes Jahr eine Weihnachtskarte«, fügte er hinzu.
»Was schreibt sie?«
Wisting zuckte mit den Schultern, so als wüsste er es nicht genau. »Frohe Weihnachten.«
Doch er wusste nur zu genau, was sie schrieb. Die Karten lagen in der untersten Schublade in seinem Büro. Jedes Jahr standen dieselben Worte darauf geschrieben: Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr. In Dankbarkeit, Nora Linde und Familie . Wisting hatte das immer als selbstlose Geste verstanden, aber so war Nora Linde gewesen. Nicht einmal während der Fahndung nach Cecilia hatte sie sich in Gesprächen kritisch geäußert oder einen negativen Kommentar abgegeben.
»Und wie geht es ihnen jetzt?«
»Ich denke, gut. Auch wenn sie es vielleicht nie verwinden können, so haben sie es doch ein Stück weit hinter sich gelassen.«
»Johannes Linde ist es ziemlich gut ergangen, wie ich gehört habe.«
Wisting musste zustimmen. Als Cecilia verschwand, hatte sich ihr Vater mit einem ehemaligen Geschäftspartner um Besitz- und Rechtsansprüche für verschiedene Produktnamen gestritten und dabei den Verlust umfangreicher zukünftiger Einkünfte riskiert. Später waren die Konflikte vor Gericht zugunsten von Johannes Linde entschieden worden. Die Firma hatte expandiert und sein Sohn Casper hatte die Leitung übernommen.
»Und was macht ihr Freund jetzt?«
»Danny Flom? Er ist Fotograf. Sie haben sich damals kennengelernt, als er die Fotos für die Werbekampagne gemacht hat, auf denen sie abgebildet war. Jetzt betreibt er ein Fotostudio in Oslo. Flomlys. Flutlicht.«
»Guter Name. Dany Flom, Flomlys. «
»Ja, das passt.«
»Hat er eine neue Freundin?«
»Ich glaube, er war zwei Mal verheiratet.«
Vor ihnen auf der Straße riss ein heftiger Windstoß eine alte Zeitung mit sich. Wisting zog seine Jacke enger um den Hals.
»Vielleicht solltest du mal mit Thomas reden«, schlug Suzanne vor. »Damit er weiß, worum es geht. Die lesen da unten nämlich auch Zeitungen.«
Thomas war Lines Zwillingsbruder. Er diente regelmäßig sechs Monate am Stück als Helikopterpilot bei den norwegischen Truppen in Afghanistan.
»Da unten ist es jetzt mitten in der Nacht«, entgegnete Wisting. »Außerdem ist es gar nicht so einfach, ihn ans Telefon zu bekommen. Ich muss immer abwarten, bis er mich zurückruft.«
»Und was ist mit deinem Vater?«
Wisting nickte zustimmend. Er musste seinen Vater anrufen. Er war achtzig Jahre alt und seit vierundzwanzig Jahren Witwer. Er hatte als Arzt in einem Krankenhaus gearbeitet und war ein reger älterer Herr, der alles verfolgte, was in den Medien über die Fälle berichtet wurde, an denen Wisting arbeitete.
Mit gesenktem Blick liefen sie schweigend weiter. Unter dem Schirm rieben sich ihre Schultern aneinander. Die Geräusche ihrer Schritte verschmolzen zu einem ungleichmäßigen Rhythmus. Er lief mit schnellen kurzen Schritten. Sie machte größere Schritte und lief langsamer.
14
Die Uhr am Armaturenbrett des Streifenwagens zeigte 00:16. Über Funk wurden kurze Meldungen über das Vorrücken der Hundestreife durchgegeben und Line hörte, wie die Einsatzwagen dirigiert wurden, um dem flüchtenden Mann eventuell den Weg abschneiden zu können.
Der in Zivil gekleidete Polizeibeamte auf dem Beifahrersitz drehte die Lautstärke herunter und wandte sich zu Line um. »Ist das Ihr Blut?«
»Ja«, antwortete sie und klappte das Laptop in ihrem Schoß auf.
»Sind Sie sicher, dass nichts von ihm stammt?«
»Dann müsste er sich ebenfalls verletzt haben.«
»Wir müssen Sie ärztlich untersuchen lassen.«
Die Anzeige auf dem Uhrendisplay rückte auf 00:17 vor.
»Das ist nicht nötig«, gab Line zurück. »Darum kann ich mich später kümmern.«
»Was ist überhaupt genau passiert?«
Line blickte vom Bildschirm auf. »Also jetzt hören Sie mal«, erwiderte sie. »Ich habe es Ihnen am Telefon erklärt und habe mit der ersten Streifenpatrouille gesprochen, und wenn Sie jetzt mit mir fertig sind, soll ich mich gegenüber einem Ermittler äußern.«
»Es ist aber wichtig für unsere Untersuchungen, dass wir genau erfahren,
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