Jagdhunde (German Edition)
Polizei nicht mehr tun, als dazusitzen und abzuwarten, bis sie gefunden wurde.
Der Himmel war sternenklar. Wisting konnte den Großen Wagen und die anderen Sterne ausmachen, die zusammen den Großen Bären bildeten. Unter dem sagenumwobenen Sternbild war Canes Venatici erkennbar. Die Jagdhunde.
Wisting atmete tief ein und behielt die kühle, feuchte Luft für einen Augenblick in der Lunge.
Normalerweise brauchte die Wachmannschaft, die ihren Dienst antrat, eine halbe Stunde zur Vorbereitung. Ein Schichtleiter ging das Protokoll durch und berichtete über aktuelle Vorkommnisse, die sich seit dem letzten Dienstantritt ereignet hatten. Die Mannschaft informierte sich über geplante und zu erledigende Aufgaben, überprüfte die Liste über gestohlene Fahrzeuge und gesuchte Personen und kümmerte sich um die persönliche Ausrüstung. Waren sie für den Streifendienst bereit, würden sie aus der Garage im Keller herausgefahren kommen. Das Garagentor würde danach ungefähr fünfzehn Sekunden offen stehen. Dieser Zeitrahmen war Wistings einzige Möglichkeit, in das Gebäude zu kommen. Jetzt musste er nur abwarten.
Während er hinter dem Streusandkasten hockte, raste eine Sternschnuppe über den Himmel und hinterließ einen dünnen milchweißen Streif. Zu den Sternen hinaufzuschauen, war so, wie in die Vergangenheit zu blicken, dachte Wisting. Möglicherweise waren die Jagdhunde da oben schon längst erloschen und seit Langem vom Himmel verschwunden.
Erst nach einer guten Stunde gab es eine Bewegung am Garagentor. Es glitt auf und ein Streifenwagen kam herausgefahren. Wisting erkannte den Fahrer. Es war Frank Kvastmo, einer der ältesten und erfahrensten Beamten der Schutzpolizei. Neben ihm saß ein Student von der Polizeihochschule, was bedeutete, dass noch mindestens ein Polizeibeamter im Haus war.
Der Streifenwagen hielt vor dem Garagentor an. Ganz der Routine folgend, blieb er mit laufendem Motor stehen und wartete, bis die Signallampe aufleuchtete, die das Schließen des Tores ankündigte. Dann rollte er langsam weiter.
Wisting wartete, bis nur noch anderthalb Meter übrig waren, bevor das Tor wieder völlig verschlossen sein würde. Der Abstand von seinem Versteck war zu groß, als dass er rechtzeitig hätte hinlaufen können. Doch als der Streifenwagen um die nächste Ecke gebogen war, warf er den Fußball in Richtung des Tores. Er landete anderthalb Meter vor der Einfahrt, hüpfte über den Asphalt und durchbrach die Lichtschranke, die ein Einklemmen von Fahrzeugen im Tor verhindern sollte. Das Tor stoppte ruckartig und glitt wieder auf. Der Ball rollte in die Garage hinein und blieb vor der Waschanlage liegen.
Mit eingezogenem Kopf sprang Wisting hinterher. Er kniff die Augen zu, als er in die helle Deckenbeleuchtung schaute. Die Luft in der großen Garage war stickig und feucht, an den weißen Wänden hatten sich schwarze Flecken aus Schimmelpilz gebildet. Am anderen Ende der Garage war eine Videokamera an der Decke angebracht. Es war eine alte, analoge Überwachungsanlage, die beim Bau des Präsidiums installiert worden war. Zum letzten Mal hatten sie die Kamera vor drei Jahren benutzen müssen, als jemand einen verdächtigen Koffer vor dem Haupteingang abgestellt hatte. Der Koffer hatte sich als Fundsache erwiesen, die Videoaufnahmen waren allerdings so schlecht gewesen, dass sie den Mann, der den Koffer abgestellt hatte, nur schwer identifizieren konnten. Damals war die Rede vom Einbau einer neuen Überwachungsanlage gewesen, doch bis heute hatten sie im Haushaltsbudget keinen Platz dafür finden können.
Insgesamt gab es zehn Kameras im Präsidium. Wisting wusste, wo sie sich befanden, war sich aber auch darüber im Klaren, dass es schwierig sein würde, sie zu umgehen. Doch dieses Risiko musste er eingehen. Wenn niemand irgendwelche unregelmäßigen Vorkommnisse vermutete, würden die Aufnahmen ohnehin nach sieben Tagen gelöscht werden.
Von der Garage führten zwei Türen in das Präsidium hinein. Eine davon gewährte direkten Zugang zu den Arrestzellen, die jedoch nach der Reorganisation und der Einrichtung einer zentralen Arresteinheit im Polizeipräsidum Tønsberg nicht mehr in Gebrauch waren. Die andere Tür führte zum Treppenhaus, von wo aus man in die verschiedenen Etagen gelangen konnte. Beide Türen waren verschlossen. Es war eine elektronische Schlüsselkarte mit einem vierstelligen Code erforderlich, um sie zu öffnen.
Wistings Schritte hallten von den Betonwänden wider, als er zu der
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