Jagdhunde (German Edition)
Kartons verpackt und warteten darauf, nach Ablauf einer bestimmten Frist makuliert oder ins Staatsarchiv überführt zu werden. Auf Wisting wirkte die ganze Ordnung völlig chaotisch, doch er wusste, dass die Beamten aus dem Strafregisterbüro die Übersicht behielten.
Wisting wollte die ganzen Unterlagen zum Ellen-Fall mit nach Hause nehmen, stellte den Karton zunächst aber auf einen Bürotisch, um den Inhalt zu sichten. Es gab wesentlich weniger Dokumente als im Cecilia-Fall, was daran lag, dass weder ein Tatort noch eine Leiche oder ein Verdächtiger gefunden worden waren.
Die Unterlagen bestanden fast ausschließlich aus protokollierten Aussagen von Zeugen, die Ellen Robbek gekannt oder sich zum Zeitpunkt ihres Verschwindens in der Gegend von Kleppaker aufgehalten hatten.
Die siebzehnjährige Ellen Robbek war an einem Sonntag verschwunden. Sie hatte noch im Bett gelegen, als ihre Eltern gegen zwölf Uhr mittags in ihr Schlafzimmer kamen, um ihr zu sagen, dass sie einen Spaziergang im Wald unternehmen wollten. Als sie zurückkamen, war Ellen wie vom Erdboden verschluckt.
Wisting legte die Papiere mit den Einzelheiten des Falls beiseite und zog die Liste mit den beteiligten Personen hervor. Auch diese war alphabetisch geordnet. Auf gut Glück wählte er ein paar Seiten aus und überflog die verzeichneten Namen. An einige konnte er sich erinnern, wohingegen ihm andere völlig fremd vorkamen.
Fast ganz unten auf einer der Seiten war ein Name mit einem Häkchen versehen. Ravneberg, Jonas.
Wistings Hals schien sich plötzlich zuzuschnüren. Er zitterte und konnte nur mühsam atmen.
Jonas Ravneberg war in zwei verschiedenen Dokumenten erwähnt. Das erste war eine von ihm abgegebene Zeugenaussage, das zweite war der Bericht eines Ermittlers.
Wisting legte die Liste oben auf den Karton, hob ihn an, setzte ihn dann aber wieder ab. Auf dem Arbeitstisch stand ein Computer. Er war ans polizeiinterne Netzwerk angeschlossen und gab ein leises Summen von sich.
Wisting zog die Maus über die Tischplatte. Auf dem Bildschirm erschien die Log-in-Maske.
Er blickte vom Bildschirm zu dem Karton mit den Falldokumenten und wieder zurück auf den Bildschirm. Nach kurzem Zögern gab er seinen Nutzernamen und das Passwort ein. Offensichtlich hatte er noch immer Zugang zum Netzwerk, denn bereits nach kurzer Zeit öffnete sich die Seite des polizeiinternen Datensystems. Doch schon im selben Moment bereute er seinen Vorstoß. Zweifellos ließ sich nachprüfen, wann und wo er sich eingeloggt hatte, aber andererseits gab es keinen Anlass, seinen Zugriff auf das System zu überprüfen, wenn niemand einen konkreten Verdacht schöpfte.
Wisting hatte siebzehn ungelesene E-Mails. Die meisten waren anscheinend Sammelmails, die er sich nicht die Mühe machte zu lesen. Stattdessen rief er das Register für die Verfolgung von Strafsachen auf und suchte nach dem Namen Linnea Kaupang.
Der Name erschien unter der Fallnummer 11 828 923 – Vermisste Frau unter achtzehn Jahren.
Die Unterlagen auf dem Bildschirm waren chronologisch geordnet. Wisting öffnete das Dokument, mit dem die Ermittlungen begonnen hatten. Linnea Kaupang war am Samstag um 12:45 Uhr von ihrem Vater als vermisst gemeldet worden. Zu diesem Zeitpunkt war sie fast einen Tag verschwunden.
Die Mutter des Mädchens war zwölf Jahre zuvor verstorben, der Vater hatte das alleinige Sorgerecht. Er hatte ausgesagt, dass Linnea nicht zu Hause gewesen sei, als er am Freitagnachmittag von der Arbeit gekommen war. Im Laufe des Abends hatte er Schulfreundinnen und andere Bekannte angerufen, aber niemand wusste, wo sie war. Zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit war sie schon einmal vermisst worden, sie war weder depressiv noch befand sie sich in einer Konfliktsituation mit ihrem Vater.
Wisting nickte. Die letzten drei Informationen waren entscheidend dafür, dass die Polizei so zu arbeiten begann, als sei ihr tatsächlich etwas zugestoßen, und die Angelegenheit nicht zusammen mit den Meldungen über andere vermisste Teenager behandelte.
Zwei Mitschüler hatten ausgesagt, dass Linnea den Linienbus bestiegen habe, der zwischen Larvik und Sandefjord verkehrte.
Der Busfahrer war ebenfalls vernommen worden. Er erinnerte sich an Linnea und war sicher, dass er sie an der Haltestelle Snippen aus dem Bus gelassen hatte.
Wisting übersprang verschiedene Berichte über die Suchaktion, die zwischen der Hauptstraße und dem knapp einen Kilometer von der Haltestelle entfernten Haus
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