Jagdopfer
Mom und ich haben geplaudert. Ich hab gar nicht gemerkt, wie spät es dabei geworden ist.«
»Schatz, es tut mir leid«, sagte Joe. »Ich brauch einfach Schlaf.«
»Dann schlaf.«
»Werd ich, wenn du mir mein Pillenfläschchen bringst. Es steht im Regal.«
Marybeth brachte ihm ein Glas Wasser und die Schmerztabletten und ging wieder zum Waschbecken. Sie war nur noch in BH und Slip. Gut sieht sie aus, dachte Joe. Sie stand auf den Zehenspitzen, um mit dem Gesicht näher an den Spiegel zu kommen. Er bewunderte ihre Beine. Marybeth war nicht wirklich dünn, sah aber noch immer sportlich aus. Nur ihr Bauch zeigte, dass sie Nachwuchs erwartete. In der Schwangerschaft hielt Marybeth sich sehr aufrecht und verbarg ihren Bauch nicht. Als sei sie schon im Vorhinein stolz auf ihre Kinder. Sie sah wunderbar aus, fand Joe. Mit ihr zu schlafen konnte herrlich sein, und plötzlich wollte Joe genau das.
»Was denkst du?«, fragte sie sein Spiegelbild.
»Dass du verdammt gut aussiehst.«
»Und …? Ich denk, du bist müde.«
»Und scharf auf dich.«
Marybeth hielt im Rubbeln inne und drehte sich zu ihm um. »Schatz …« Es klang beinahe flehend, und sie wies auf die geschlossene Schlafzimmertür.
»Sie kann uns nicht hören«, gab Joe trocken zurück. »Ich werd bestimmt nicht laut.«
Marybeth sah ihn zornig an. »Darum geht’s nicht. Du weißt, dass ich das nicht mag, wenn meine Mutter zu Besuch ist.«
Joe wusste das allerdings. Sie hatten diese Auseinandersetzung
schon gehabt, und zwar oft. Aber er blieb am Ball. »Meinst du, sie glaubt, unsere Kinder wurden vom Heiligen Geist gezeugt?«
»Nein. Aber ich fühl mich nicht wohl, wenn ich weiß, dass sie da ist. Unter unserem Dach. Und wenn ich mich nicht wohlfühle - wie schön kann’s dann sein?«
Joe gab das zu, wie er es früher zugegeben hatte.
»Also gut«, sagte er und mummelte sich in die Decke ein. »Ich nehm’s dir nicht übel.«
»Prima. Ich bin froh, dass du das verstehst. Es ist zwar unlogisch, aber es ist nun mal so.«
Als sie ins Bett kam, war er noch wach.
»Was glaubst du, wer mich am Abend im Krankenhaus besucht hat?«, fragte Joe, als Marybeth sich an ihn kuschelte.
»Wacey.«
»Ja, der auch. Aber danach kam Vern Dunnegan.« Er spürte, wie sie erstarrte.
»Wie ich Krankenhäuser hasse«, sagte er.
»Ich weiß. Was musste Vern denn loswerden?«
»Er hat uns nur alles Gute gewünscht. Und ich hätte im Jagdlager seiner Meinung nach mit Wacey gute Arbeit geleistet. Er sei stolz auf seine beiden Jungs.«
»Du bist nicht Verns Junge, sondern meiner«, sagte Marybeth. Dann warnte sie ihn. »Sei bei dem Mann vorsichtig. Ich trau ihm nicht. Ich hab ihm nie getraut.«
Joe lachte. Die Tabletten begannen zu wirken. Er spürte, wie ihn allmählich Wellen der Benommenheit überkamen. »Er blieb nur eine Minute, aber er will sich im Laufe der Woche mit mir treffen. Er möchte über meine Zukunft reden, hat er gesagt.«
»Was meint er damit?«, fragte Marybeth zögernd.
»Er hat mir mehr oder weniger einen Job bei InterWest Resources angeboten. Viel besser bezahlt.«
»Du machst wohl Witze?« Marybeth setzte sich auf und drehte sich zu ihm.
»Nein«, sagte er und tätschelte sie.
»Ach du meine Güte, Joe«, sagte Marybeth. Und dann nochmal und lauter: »Meine Güte.«
Dritter Teil
Verzeichnisse:
Der Innenminister veröffentlicht zwei Listen der Arten, die von ihm oder vom Handelsminister als gefährdet bzw. bedroht eingestuft worden sind.
Beide Listen führen diese Arten sowohl mit ihrem wissenschaftlichen als auch - soweit vorhanden - mit ihrem oder ihren im allgemeinen Sprachgebrauch üblichen Namen auf.
Beide Listen enthalten genaue Angaben darüber, welcher Teil des Lebensraums einer jeden Art gefährdet oder bedroht ist, und führen alle stark gefährdeten Biotope innerhalb dieses Lebensraums auf.
Der Innenminister überarbeitet beide Listen von Zeit zu Zeit im Hinblick auf Beschlüsse, Regelungen und Veränderungen, die gemäß den Vorgaben dieses Gesetzes ergangen sind.
Aus: ZUSÄTZE (1982) ZUM GESETZ ÜBER GEFÄHRDETE ARTEN
11
So was wie das Dreierbegräbnis der Ausrüster hatte Joe Pickett noch nie erlebt. Ote Keeleys Wunsch, in seinem Ford F-250 XLT Lariat Turbodiesel begraben zu werden, war bei den Totengräbern des Friedhofs von Twelve Sleep County auf Schwierigkeiten gestoßen, weil sie das größte Loch ausheben mussten, das sie je gegraben hatten. Dafür schien es nötig, einen Bagger anzumieten. Die
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