Jagdopfer
ersten Tag hohe
Wellen. Es war Joes Aufgabe, Jagdscheine und Abschussgenehmigungen zu prüfen. Die meisten Jäger, die er im Laufe des Vormittags kontrolliert hatte, waren aus der Gegend und wollten ihre Kühltruhe füllen. Doch Joe hatte auch das Wohnwagenlager eines Ausrüsters besucht, dessen vier verkaterte Kunden - leitende Angestellte in Detroits Autoindustrie - nach der neusten Outdoor-Mode gekleidet waren und sich mühsam durch ein Schmortopffrühstück kämpften. Alle hatten die gesetzlich vorgeschriebenen Papiere und Abschussgenehmigungen dabei. Sie wollten im Laufe des Tages auf die Jagd gehen, wenn sie wieder einen klaren Kopf hatten.
Während der Arbeit verlor Joe sich immer wieder in der Vorstellung, wie Missy Vankueren wohl reagieren würde, wenn Marybeth ihr erzählte, dass er einen Job bei InterWest Resources in Aussicht habe. Er empfand ein Gefühl süßer Rache und wäre gern heimlich dabei, wenn Marybeth Missy die Neuigkeit berichtete. Gestern Abend jedenfalls war es im Bett noch sehr nett, fast ausgelassen gewesen, nachdem Joe seine frohe Botschaft überbracht hatte. Marybeth hatte sogar ihren Grundsatz gebrochen, nicht mit Joe zu schlafen, wenn ihre Mutter zu Besuch war. Weder vorher noch nachher hatte Marybeth gesagt, Joe solle den Job annehmen, und Joe hatte sich auch nicht dazu geäußert. Doch die Möglichkeiten hatten beide ganz schön unter Strom gesetzt. Jetzt fragte er sich, ob Missy endlich mit ihm warm werden würde, nun, da sie wusste, dass sich sein Gehalt bald verdreifachen konnte. Nach Joes Lebenserfahrung dachten Frauen praktisch, und das schonungslos und aufrichtig. Vielleicht würde Missy denken, dass ihre Tochter am Ende doch das Richtige getan hatte.
Als Joe das Wohnwagenlager verließ, hörte er aus der Entfernung Gewehrfeuer und fuhr in Richtung der Schüsse. Wieder klang es mehr nach dem unterbrochenen Pow-WHOP als nach einem verhallenden Knall. Wer immer da geschossen hatte, musste etwas getroffen haben. Und so war es auch - drei Jäger aus der Gegend hatten vier Pronghorns getötet, also eins zu viel. Sie erklärten Joe, eine ihrer Kugeln habe einen Bock glatt durchschlagen und unbeabsichtigt ein Weibchen getroffen. Joe glaubte das zwar, hielt ihnen aber dennoch eine Predigt, dass man nicht mitten in die Herde schießen dürfe, sondern sich bestimmte Tiere aussuchen müsse. Dann verpasste er dem Jäger, der zwei Pronghorns getötet hatte, einen Strafzettel und befahl den dreien, die vier Tiere an Ort und Stelle aufzubrechen und das überzählige Tier im Runden Haus abzuliefern, einer offenen Anstalt in Saddlestring, wo Leute ohne festen Wohnsitz sowie Alkohol- und Drogensüchtige aus der Gegend Verpflegung und Unterkunft bekamen. Mehr als die Hälfte der Bewohner des Runden Hauses waren Indianer aus dem Reservat, und die bevorzugten Wild.
Den Rest des Vormittags fuhr Joe von Jagdlager zu Jagdlager und hielt zwischendurch regelmäßig an, um die Landschaft mit dem Fernglas abzusuchen. Er mochte die Arbeit draußen, in den Breaklands und in den Bergen. Er mochte die Arbeit draußen und die Heimkehr am Abend und die Dusche vor dem Essen. Wenn er dann ins Bett ging, war er meistens körperlich erschöpft. Er wusste, dass es auf der Welt nicht mehr viele Berufe wie seinen gab.
Joe erinnerte sich sehr genau daran, wie er als Zehnjähriger
darauf verfallen war, Jagdaufseher zu werden. Es war in einer warmen Nacht, und Joe und sein jüngerer Bruder Victor schliefen draußen hinterm Haus, wie sie es im Sommer oft taten - in Schlafsäcken auf dem Trampolin. Die Sterne funkelten, und es ging ein leichter Wind. Joes Eltern prügelten sich brüllend im Haus herum und tranken dabei immer weiter. Das war am Freitagabend nicht ungewöhnlich. Draußen las der kleine Joe im Schlafsack mit der Taschenlampe die neueste Ausgabe der Zeitschrift »Pelztiere, Fisch und Wild«. Er konnte es kaum erwarten, dass das monatlich erscheinende Magazin wieder in der Post war, und las es sofort von der ersten bis zur letzten Seite, sogar die Anzeigen im hinteren Teil, in denen Tierfallen, Duftköder auf Urinbasis und Boote zum Selberbauen angepriesen wurden. Victor schlief im Schlafsack neben ihm. Das hoffte Joe jedenfalls, denn an diesem Abend stritten sich die Eltern schlimmer als sonst. Im Haus war Glas mit lautem Krach zersplittert, und sein Vater hatte seine Mutter angeschrien. Die hatte geweint, und sein Vater hatte sie getröstet. So ging es oft genug hin und her, sonst aber nicht so laut.
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