Jagdopfer
jede Menge offene Fragen. Das ist keine exakte Wissenschaft. Du solltest das inzwischen wissen. So was wird nicht immer bis ins Letzte aufgeklärt. Manchmal, wenn der Fall allzu klar ist, wandert ein Unschuldiger ins Gefängnis, aber der ist gewöhnlich reiner Abschaum und sollte sowieso im Knast sitzen. Mach dich nicht damit fertig, alle Einzelteile zusammensetzen zu wollen. Lass die Sache auf sich beruhen, Joe, und kümmere dich um deine Angelegenheiten.«
Joe dachte über das nach, was Vern da sagte. Und über Vern. Seine Eindringlichkeit in dieser Sache konnte er nicht verstehen. Und er hatte sie nicht erwartet.
»Was ist mit der Kühlbox, die Ote dabeihatte? Was war da wohl drin?«
Vern klatschte die Handflächen schlapp auf den Tisch.
»Nochmal - ist doch scheißegal!« Er griff nach einem von Joes Schnäpsen. »Lass es sausen.«
»Ich hab heute mit zwei Jägern gesprochen. Sie haben mich gefragt, ob ich irgendwas davon wüsste, dass in den Bergen eine gefährdete Tierart gefunden worden sei. Sie haben nichts Genaueres gesagt, und ich weiß nicht, ob sie nur Spaß gemacht haben.«
»Wer denn?« Vern kannte jeden.
»Hans und Jack.«
»Vergiss es.« Vern machte eine wegwerfende Handbewegung. »Geschwätzige alte Hühner.«
»Das wär mir neu. Ich find sie ganz in Ordnung.«
»Joe …«, seufzte Vern.
»Ich bin verpflichtet, das zu untersuchen und die Sache zu melden. Das weißt du doch.«
Vern grinste höhnisch. »Verpflichtet? Wem gegenüber? Der Jagd- und Fischereibehörde von Wyoming? Dem Bundesamt für Naturschutz? Dem Swingerclub Sierra e.V.? Mr President persönlich?«
Joe blieb sachlich. »Vern - du weißt, was wir zu tun haben, wenn wir auf so was stoßen. Oder es auch nur vermuten. Und stell dir mal vor, das hätte irgendwas mit dem Mord an den Ausrüstern zu tun.«
Vern verdrehte die Augen. Das tat er immer, wenn Joe etwas seiner Meinung nach unglaublich Einfältiges gesagt hatte. »Weißt du, Joe - was ich jetzt sage, wird dich schockieren. Aber ich kenne anständige Leute, die haben eine gefährdete Tierart auf ihrem Land gefunden und sie abgeknallt und vergraben, ohne auch nur darüber nachzudenken, geschweige denn, ihre Entdeckung in die Welt hinauszuposaunen. Ich kenn einen Viehzüchter in der Nähe von Cody, der irgendeinen Marder oder Vielfraß in die Enge getrieben hat. Er wusste genau, dass das Vieh als ausgestorben gilt, aber er hat es mit der Schrotflinte umgeblasen und an seine Hunde verfüttert. Dem Mann war eins ganz klar: Wenn er seinen Fund gemeldet hätte, wäre er von seinem eigenen Land gejagt worden, damit eine Meute elitärer Säcke behaupten könnte, sie würde die Welt retten. Die sind doch so schlimm wie Borkenkäfer.«
Einer der Männer, die Joe beim Reinkommen an der Theke hatte hocken sehen, schwankte auf dem Weg zur Toilette an ihrer Nische vorbei. Vern lehnte sich über den Tisch vor und sprach leise weiter.
»Kapierst du eigentlich, was aus diesem Tal werden würde, wenn sich rumspräche, dass da vielleicht irgendwas in den Bergen ist? Selbst wenn es sich nur um ein dämliches Gerücht handelt, das zwei geschwätzige alte Hühner in die Welt gesetzt haben? Selbst wenn an dem Gerede nichts dran ist? Wenn es nur das Gefasel von zwei Alzheimer-Kandidaten ist? Kapierst du das? Dann stell dir mal vor, was passiert, wenn du als Jagdaufseher meldest, deiner Meinung nach sei da oben irgendwas.
Denk mal an die Leute, die im Sägewerk arbeiten«, fuhr Vern fort. »Denk an die Fahrer der Holzlaster; an die Cowboys und Ausrüster; an die, die Angeltouren anbieten. Die wären alle arbeitslos, wenn die Kerle aus Washington kämen, um das ganze Tal abzusperren. Umweltschützer mit Nickelbrille und Jesuslatschen würden von überallher einfallen, Pressekonferenzen abhalten und rumtönen, sie seien gekommen, um unschuldige kleine Geschöpfe vor den ignoranten Einheimischen zu bewahren. Und ob man da oben nun was finden würde oder nicht - die Umweltschützer würden jahrzehntelang prozessieren und hier alles lahmlegen, nur damit sie ihren Mitgliedern erzählen können, dass sie tatsächlich irgendwas mit ihren Beiträgen anfangen.
Leute, die hier in der dritten Generation Vieh züchten, würden ihre Ranch verlieren. Und was passiert mit denen, die gar nicht hier wären, wenn’s bei uns nicht Land- und Forstwirtschaft gäbe? Mit den Lehrern, den Einzelhändlern, den Restaurantbesitzern? Die würden auch arbeitslos werden und eines Tages wegziehen. Und das alles, weil Joe
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