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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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Während der Mann redete, spürte Joe, wie seine Kopfhaut zu zucken begann.
    »Was meinen Sie damit, dass Sie es nicht haben?«, fragte er.
    »Genau das«, antwortete der Biologe. Der selbstgerechte Ärger eines Mannes, der in der Hierarchie über Joe rangierte, war unüberhörbar. »Hier hat niemand ein Päckchen von Ihnen gesehen oder erinnert sich, es bekommen zu haben. Wie haben Sie’s denn geschickt?«

    »In einer kleinen Schachtel, eingepackt in braunes Packpapier und mit Tesa zugeklebt.«
    »Haben Sie’s einfach mit der Post geschickt? Nicht mit UPS? Nicht mit Federal Express? Nicht als Einschreiben?«, pfefferte der Biologe Joe entgegen. »Dann gibt’s auch keine Quittung. Haben Sie’s so geschickt, dass sich die Sendung nicht zurückverfolgen lässt?«
    Joe spürte, dass er wütend wurde. Aber er sprach weiterhin leise und ausgeglichen. »Ich hab mich vor einiger Zeit telefonisch erkundigt und wurde angewiesen, Päckchen grundsätzlich per Post zu schicken. Bei den knappen öffentlichen Mitteln heutzutage hätten wir Extravaganzen wie Federal Express zu vermeiden.«
    »Wer hat Ihnen das gesagt?«, fragte der Biologe nüchtern.
    »Ich glaube, Sie waren das.« Das ist doch dieselbe Stimme, dachte Joe.
    Ein langer, frustrierter Seufzer drang durchs Telefon. »Na ja. Hier ist Ihr Päckchen jedenfalls nicht.«
    »Könnten Sie nochmal nachsehen? Es ist wichtig. Was ich zur Untersuchung eingeschickt habe, ist noch nie weggekommen, weder auf dem Weg von Ihnen zu mir noch umgekehrt.«
    Langes Schweigen. »Klar - wir können nochmal nachsehen. Aber niemand hier erinnert sich, was bekommen zu haben.«
    Er fragte Joe, an welche Adresse er das Päckchen geschickt und ob er die richtige Abteilung angegeben habe. Und ob er es ausreichend frankiert habe.
    Als Joe eben antworten wollte, bat der Biologe ihn, nochmal kurz am Telefon zu bleiben. Womöglich habe jemand das Päckchen gefunden. Joe lehnte sich im Drehstuhl
zurück und behielt den Hörer am Ohr. Einmal mehr ging ihm durch den Kopf, was die Jungs in Cheyenne oft über die Jagdaufseher vor Ort dachten - und umgekehrt. Vern hatte Joe schon vor Jahren gewarnt, die Abteilungsleiter glaubten manchmal, die Jagdaufseher würden zu Einheimischen und vergäßen, beim Staat angestellt zu sein. In der Zentrale unterstelle man ihnen bisweilen, sie würden anfangen, sich als Interessenvertreter der Viehzüchter ihrer Gegend zu verstehen. Oder der Jäger. Oder der Wilderer. So weit Vern. Einige der hohen Tiere in Cheyenne hielten die Jagdaufseher jedenfalls für Primadonnen mit tollen Schlitten, Gewehr und Dienstplakette. Als wären sie Lokalgrößen und keine kleinen Angestellten. Aber der Ärger mochte gegenseitig sein. Joe rief nie vor acht und nie nach fünf in der Zentrale an, weil ihm klar war, dass jeder, mit dem er sprechen musste, ausschließlich während der Bürozeiten dort war. Er selbst mochte seinen Arbeitstag um fünf Uhr früh mit einer Streifenfahrt durch die Breaklands vor den Bighorn Mountains beginnen, in Cheyenne aber lagen die Dinge anders. Biologen bekamen ihr Gehalt immer - ob sie ein Päckchen nun fanden oder nicht.
    Aus dem Augenwinkel sah Joe Sheridan und Lucy im Wohnzimmer spielen. Lucy war gerade ein Hund oder so. Sie stellte sich auf die Hinterbeine, um an einen unsichtbaren Leckerbissen zu kommen, den Sheridan ihr hinhielt. Süß war das. Gestern Abend hatte Marybeth gesagt, den Mädchen gehe es offenbar glänzend. Der Zwischenfall mit Ote Keeley habe sie wohl nicht weiter mitgenommen. Sie hätten die letzten zwei Tage die ganze Zeit beim Holzstapel im Hof gespielt und nicht mal erwähnt, was dort geschehen sei. Sogar Sheridan, Miss
Launisch, sei immerzu gut aufgelegt. Marybeth meinte, sie glaube allmählich, man müsse sich vielleicht doch keine Sorgen machen.
    »Nein, tut mir leid«, sagte der Biologe, als er wieder ans Telefon kam. »Wir haben ein Päckchen gefunden und geöffnet, aber es war eine Gewebeprobe von einem Adler, die uns ein Aufseher aus Ranchester geschickt hat, um überprüfen zu lassen, ob er abgeschossen worden ist.«
    Joe fluchte ganz leise in sich hinein. Der Biologe war einverstanden, ihn anzurufen, falls das Päckchen doch noch auftauchen sollte.
     
    Joe kam auf einen Kaffee in die Küche. Marybeth und Missy saßen am Tisch und unterbrachen ihr Gespräch, als er reinkam. Also mussten sie gerade über ihn gesprochen haben. Er schenkte seine Tasse voll, drehte sich um und lehnte sich an die Spüle. Marybeth strahlte und

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