Jagdopfer
das, das Sheridan zuerst gesehen hatte - Lucky, das kleinere, hellbraune Geschöpf Hippity-Hopp und das eher gelbe, geschmeidige Tier Elway. Sie beschlossen, die drei seien eine Familie, und zwar eine glückliche. Lucky war der Vater, Hippity-Hopp die Mutter, Elway der Sohn. Passten
die Namen nicht gut zu ihnen? Und wie die futtern konnten!
Sie fraßen alles und kamen nicht nur bei Cornflakes aus dem Holzstapel, sondern stopften sich auch Hotdogstückchen, Aufschnitt und Gemüse in die Backen. Das Einzige, was sie nicht mochten, waren Gummibärchen, und das ärgerte Lucy, weil sie jede Menge davon gehortet hatte.
Sheridan hatte schnell den Bogen raus, wie sie beim Abendbrot das eine oder andere in ihrer Serviette verstecken konnte, um es später in den Hof zu bringen. Lucy aß immer alles auf, opferte aber gerne ihren kleinen Schokoriegel, den es zum Nachtisch gab, denn sie stand nicht so auf Süßes. Nach dem Essen fragten die Mädchen immer gemeinsam, ob sie im Hof spielen könnten, während Mom abwusch, telefonierte oder mit Oma Missy plauderte. Das durften sie jedes Mal, und sie sausten davon, um ihre geheimen Haustiere zu füttern.
Lucky, Hippity-Hopp und Elway waren alles andere als leise. Sie konnten piepsen und kleine Schreie ausstoßen, und wenn sie aufgeregt oder besonders munter waren, gaben sie ein Geräusch von sich, das wie eine gedämpfte Babyrassel klang. Manchmal glaubte Sheridan, die Tiere seien so laut, dass Mom und Oma Missy sie unmöglich überhören konnten, offenbar aber bekamen sie nichts von ihnen mit.
Irgendwann würde Lucy das Geheimnis ausplaudern, dachte Sheridan. Sie war einfach noch zu klein, um den Mund zu halten. Erst heute Abend hatte sie nach dem Essen gesagt, sie wolle rausgehen und Lucky füttern. Sheridan hatte daraufhin erklärt, Lucky, Elway und Hippity-Hopp seien ihre Fantasietiere, und Mom hatte Sheridan
ein Kompliment dafür gemacht, so nett mit ihrer kleinen Schwester zu spielen. Oma Missy hatte die beiden dabei angestrahlt.
Wenn die drei alles aufgefressen hatten oder gar nicht aus dem Holzstapel kamen, wollte Lucy mit Sheridan »Tiere spielen«. Die war einverstanden, und Lucy tat, als sei sie eines der kleinen Geschöpfe. Sheridan warf unsichtbares Futter ins Gras, und Lucy, die gut im Nachahmen war, imitierte die Bewegungen der Tiere, wie sie es mit den Pfoten auflasen und in ihre Backen stopften.
Sheridan wusste, dass das nicht gut gehen konnte. Irgendwas würde schieflaufen. Das war doch immer so.
Aber solange die Tiere lebten, munter waren und nur Sheridan (und Lucy) gehörten, würde sie es genießen. Dieses Geheimnis zu haben und die kleinen Gesichter plötzlich aus dem Stapel hervorlugen zu sehen, war eine riesige Freude - und etwas, das sie jeden Nachmittag auf dem Heimweg im Bus sehnlichst erwartete.
Solange es dauerte, war es ein Zauber.
15
Vor Sonnenaufgang fuhr Joe wieder in die Breaklands. Es herrschte dichter, feuchter Nebel. Um auf seinen Aussichtshügel zu kommen, musste er diesmal auf Allradantrieb schalten. Der Morgen dämmerte nass und grau herauf - und der Regen wurde immer stärker. Rundum trieben niedrige Wolken langsam über den Himmel, und auf dem rutschigen Lehmboden der Ebenen bildeten sich große Pfützen und schokoladenbraune Teiche, während
Bäche durch tief ausgewaschene Betten schäumten. Die ganze Gegend war eine einzige Waschküche, und soweit Joe durch sein Fernglas beobachten konnte, waren die Pronghornjäger in ihren Zelten geblieben. Die Feldwege waren schon in üblem Zustand, also entweder spiegelglatt oder matschig. Joe beschloss, hier zu verschwinden, solange es noch möglich war. Auf dem Rückweg schleppte er ein paar Jäger frei, die in einem Graben stecken geblieben waren, und folgte ihnen zur Landstraße.
Zu Hause angekommen, ließ Joe seine Stiefel und die gelbe Regenjacke in der Arbeitsumkleideecke und legte seinen Hut umgedreht auf den Schreibtisch. Dann rief er in der Zentrale der Jagd- und Fischereibehörde in Cheyenne an und ließ sich mit der zoologischen Abteilung verbinden. Er fragte einen veterinärmedizinischen Assistenten, ob der Inhalt des Päckchens, das er eingeschickt hatte, schon untersucht worden sei. Er solle am Apparat bleiben, sagte der Mann.
Joe roch den Kaffee aus der Küche und hörte das Murmeln von Marybeth und ihrer Mutter am Tisch.
Schließlich wurde Joe mit einem Mann verbunden, der sich ihm als leitender Biologe vorstellte. Joe hatte von ihm gehört, war ihm aber noch nicht begegnet.
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