Jagdzeit
weiter: „Du glaubst, sie haben dich gekidnappt und die Bank wird Lösegeld für dich zahlen? Das glaubst du wohl, oder? Vielleicht eine halbe Million Dollar. Wie bei Diplomaten und Leuten, die in Südamerika gekidnappt werden. Das ist es, was du glaubst. Ich meine, eine Bank könnte sich doch nicht erlauben, dich nicht auszulösen, oder? Was würde dann aus ihrem Image? Und ich — ich war bloß zufällig dabei. So mussten sie mich auch mitnehmen, und jetzt haben sie auch noch eine Frau am Hals, aber wenn sie schon mal da ist, kann man sie ja auch benutzen.“ Ihre Stimme wurde rau von aufwallender Verbitterung. „Kochen, putzen, ficken, alles wozu Frauen immer nützlich sind!“ Sie spuckte die Worte aus.
„Schon gut, schon gut!“, sagte Martin. Arroganz und Beleidigtsein waren aus seiner Stimme gewichen. Sie hatte angegriffen und er hatte den Rückzug angetreten. Sie erkannte — und fühlte dabei einen Stich — dass die meisten verwöhnten Kinder auch Tyrannen waren. Warum hatte sie diese Seite an Martin nie bemerkt? Es machte so viel zwischen ihnen kaputt. Ein Moment wie dieser, ein Schimmer der Erkenntnis, und die Welt war nicht mehr dieselbe zwischen zwei Menschen.
„Was bringt dich zu der Annahme, dass die Kette da speziell für dich ist?“, fragte sie. Endlich war es raus. Sie hatte es sagen wollen, seit Ken zum ersten Mal das Eisen um ihr Fußgelenk gelegt hatte.
Zuerst war er still, verstand noch nicht. Dann fragte er scharf: „Wie meinst du das?“
Sie antwortete absichtlich nicht. Er setzte sich abrupt auf, zutiefst getroffen. Ihre Zigarette war ein roter Lichtpunkt, als sie sie von ihren Lippen nahm, lässig ausatmete und wartete.
12
Ken, Greg und Art frühstückten am nächsten Tag gleich bei Morgengrauen und gingen auf die Jagd. Sie ketteten Martin in der Küche an, weil es dort Wasser gab, und ließen ihm ein kleines, aufklappbares Chemieklo zurück. Er würde den ganzen Tag nichts zu tun haben, außer vielleicht lesen, also gaben sie ihm auch ein paar Taschenbücher.
Nancy nahmen sie mit auf die Jagd. Art wollte allein sein, also warfen Ken und Greg eine Münze, wer sie haben sollte. Ken gewann und stattete sie mit warmer Kleidung aus, die ihr zu groß war, und stopfte Zeitungspapier in ein paar Stiefel, um wenigstens so weit an ihre Schuhgröße heranzukommen, dass sie nicht beim ersten Schritt gleich wieder herausstieg.
Sie sah aus wie ein Clown und alle mussten sehr lachen. Nancy zwang sich zu einem Lächeln. Sie fand, so war es leichter für sie. Wenn sie sich mit aller Kraft bemühte, nicht daran zu denken, dass die drei sie nicht laufen lassen würden, dass Martin angekettet war, dass sie sie vielleicht sogar erschießen würden, falls sie versuchte abzuhauen, dann konnte sie die drei als Männer betrachten, die zu bekommen sich jede Frau glücklich schätzen würde. Ken war attraktiv, seine Augen waren klar und intelligent, seine Manieren perfekt. Er wirkte ruhig und gelassen. Sie fragte sich, wie wohl seine Frau war. Und Greg. Selbst seine schreckliche Arroganz erschien ihr heute anders. Er war weniger demütigend, wenn man wusste, dass er einfach ein Tier war, das nicht dachte. Wenn man ihn so sah, konnte man verstehen, was Ken und Art an ihm fanden. Er konnte einen sogar zum Lachen bringen.
Art nahm das eine Boot und fuhr als Erster los. Als Nancy, Greg und Ken das ihre gestartet hatten, war das Geräusch von Arts Motor nur noch ein schwaches Flüstern drüben beim Festland Richtung Westen, wo die Insel einmal als Halbinsel begonnen hatte. Dann fuhren sie alle drei hinüber zur anderen Seite des Sees und trennten sich. Ken zog mit Nancy nach Norden; Greg wandte sich südwärts. Sie machten aus, sich um vier Uhr wiederzutreffen.
Freundlich, aber mit nüchternem, warnendem Blick, sagte Ken: „Nancy, wenn du versuchen willst abzuhauen, ist das in Ordnung, aber ich werde dich wieder einfangen müssen, und das wird den ganzen Tag verderben.“
Sanftmütig stapfte sie hinter ihm her. Selbst wenn sie es riskierte davonzulaufen, wohin sollte sie sich wenden? Sie hatte nicht die geringste Ahnung, aus welcher Richtung sie ursprünglich gekommen waren. Sie hatte noch nie einen guten Orientierungssinn gehabt.
Um neun Uhr erlegte Ken einen Hirsch. Sie waren eine tiefe Schlucht heraufgekommen, wo ihnen der Weg von umgestürzten Bäumen und sumpfig nassem Boden erschwert worden war. Es war anstrengend, über und unter Baumstämme und moosbewachsene Felsblöcke zu klettern, sich durch
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