Jagdzeit
Herbsts techwinden und Gesträuch einen Weg zu bahnen, und Nancy fragte sich, wie lange sie wohl noch durchhalten würde. Ihre Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen und ihr Atem ging in schmerzhaften Stößen. Dann war die Schlucht endlich zu Ende, und sie arbeiteten sich an einem steilen Hang empor auf einen Grat zu, wo der Wald weniger dicht war. Plötzlich erstarrte Ken und hielt warnend eine Hand hoch. Lautlos hob sich sein Gewehr, und Nancy sah den Hirsch. Er blickte direkt in ihre Richtung, reglos, mit erhobenem Kopf. Er war jung, das Geweih nur zweimal gegabelt. Und schön, mit gertenschlanken Beinen, hohen Schultern.
Nancy hatte noch nie ein Tier in freier Wildbahn gesehen. Ihr Herz schlug heftig in Erwartung des schrecklichen Ereignisses, das gleich eintreten würde.
Als der Schuss durch den Wald krachte, war er lauter, als sie es sich je vorgestellt hatte. Gleichzeitig zuckte der Hirsch zusammen, sein Fleisch kräuselte sich vom Hals bis zu den Schenkeln. Die Hinterbeine schienen nachzugeben. Er drehte sich, schwankte und versuchte, mit gesenktem Kopf, von der Stelle zu kommen. Ken feuerte noch mal, und der Hirsch fiel.
Er senkte das Gewehr, lächelte, seine Augen waren dunkel.
Vögel flogen kreischend auf. Der Wald war wieder ruhig.
Nancy fand ihre Stimme wieder. „Ist er tot?“
„Ich nehm’s an.“ Er blies über das Ende des Gewehrlaufs, eine Art ritueller Kuss, und lud zwei neue Patronen. „Hab’ ihn in den Nieren erwischt beim ersten Mal. Zog etwas nach rechts. Das wird beim Nächsten nicht mehr passieren.“
„Dürfen Sie denn nicht nur einen schießen?“
„So sagt man.“ Er zwinkerte ihr zu. „Komm, weiter.“ Er drehte sich um und schlug den Weg zurück Richtung Schlucht ein.
„Aber was ist mit dem Hirsch?“
„Was soll damit sein?“
„Nehmen Sie ihn nicht mit?“
Sein Auge maß den Abstand zu dem toten Tier. „Wir werden einen näher beim Haus erlegen. Müssen ihn weniger weit tragen.“
Plötzlich, weit weg, ertönte ein Schuss. Ein Krachen, dann verhallte sein Echo mit hohlem Grollen.
„Das ist Art“, sagte Ken. Fast unmittelbar danach hörten sie einen weiteren Schuss, dann einen dritten. „Der tobt sich aus“, lachte er. „Vermutlich Vögel. Er hasst sie.“
„Vögel?“
„Weiß nicht, warum. Ich nehme an, er denkt, es wird ihm einmal einer mitten ins Gesicht fliegen.“
Sie gingen wieder zurück über den zugewachsenen Grund der Schlucht, kletterten dann an einer Seite hinauf, durchquerten ein flaches Waldstück und stiegen in eine andere Schlucht hinunter.
„Der See liegt links“, sagte Ken.
Sie fragte sich, woher er das wusste.
Sie kamen zu einem kleinen Teich, und diesmal waren es Biber. Ken schoss zwei nebeneinander, so schnell, dass der zweite keine Zeit hatte, zu flüchten, als er den Schuss hörte, der den ersten tötete. Beide Biber tauchten unter, der See schloss sich über ihnen, die Wellen glätteten sich, und dunkelrote Blasen stiegen auf, die ringsum das Wasser rosa färbten.
Gregs Flinte ertönte. Sie war sehr viel näher als Arts Gewehr, der Knall lauter und das Echo kürzer. Er war nur eine halbe Meile entfernt, und was auch immer er schoss, er verfehlte es nicht. Es gab nie einen zweiten Schuss. Sein Gewehr bellte; dann hörten sie es für zehn Minuten nicht mehr.
Dann schoss Ken ein Reh. Er zuckte die Achseln. „Die Weibchen nicht zu töten, ist blöd. Laut Theorie schießt man ein paar Hirsche, und die, die übrig bleiben, schaffen die ganze Arbeit nicht mehr. Daher vermehren sie sich nicht zu arg und müssen folglich auch nicht verhungern. Aber warum nicht Männchen und Weibchen schießen, wenn es zu viele davon gibt?“ Er grinste Nancy charmant an. „Was ist so heilig an einem Weibchen? Dass eine Menge Männchen sterben müssen, damit es genug zu fressen hat?“
In der Ferne war wieder das Echo von Arts Flinte zu hören.
Zu Mittag aßen sie auf einer Lichtung, auf einer flachen Anhöhe, Zwieback, Dosenfleisch, ein paar Gürkchen und Bier. Hinter ihnen dehnte sich meilenweit der Wald, endlos und menschenleer, hier und da durchbrochen vom Silber der Seen und träge dahinfließenden Flüssen.
„Da wohnen wir, da drüben“, sagte Ken und deutete auf einen schimmernden Punkt in der Größe einer Münze. „Na ja, nicht ganz. Das ist nur das Ende des Sees. Die Jagdhütte liegt mehr Richtung Mitte. Der Hügel verdeckt sie.“
Nancy stellte sich die Hütte vor und erinnerte sich zum ersten Mal seit Stunden an Martin. Und an
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