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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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„Wir lassen euch laufen.“
    „Ihr bekommt zwanzig Minuten“, sagte Ken zu Martin.
    Art nahm einen kleinen Rucksack von einer der Bänke. „Das hier könnt ihr haben. Da drin sind drei Tagesrationen, Streichhölzer, Notapotheke, alles, was ihr braucht.“
    „Kann mir irgendjemand erklären, was das alles soll?“, platzte Nancy heraus.
    „Hab’ ich dir doch gesagt“, antwortete Greg. „Goodbye.“
    Es klang nicht gut. Sie wandte sich an Martin. Sein Lächeln war unangenehm. „Du weißt genauso gut wie ich, worum es geht.“
    Und selbstverständlich wusste sie es auch, tief in ihrem Inneren. Sie hatte es gewusst und sich selbst eingestanden, lange vor ihm. Alles, was sie danach gedacht hatte, war bloß eitle Hoffnung und Selbsttäuschung gewesen, aus purer Verzweiflung. Sie fragte sich, wann Martin beschlossen hatte, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Gestern? Als sie jagen waren? Oder letzte Nacht? Eigentlich machte es keinen Unterschied. Sie konnte es noch nicht wirklich wahrhaben. Ihre Todesangst wurde vermischt mit dem Gefühl, aus der kleinen Welt ausgestoßen zu sein, die sie schützend um sich herum aufgebaut hatte. Noch vor ein paar Minuten waren sie alle nackt gewesen und hatten zusammen gelacht. Greg hatte die Arme um sie gelegt und sie geküsst und Ken genauso. Und letzte Nacht hatten sie alles geteilt. Sie waren Freunde.
    Nancy konnte nicht sprechen.
    Martin öffnete gelassen das Fußeisen und nahm den Rucksack, den Art ihm hinhielt.
    „Wie viele waren vor uns da?“, fragte er.
    Ken zögerte, dann antwortete er: „Sechs.“
    „Sechs Paare“, sagte Art mit scharfer Stimme.
    „Einfach so?“, fragte Martin. „Jedes Jahr ein Ferienausflug, jemanden mitnehmen, bisschen Spaß haben, paar Spielchen spielen, sie dann laufen lassen und eine Treibjagd abhalten. Einfach so?“
    Sein Tonfall war ganz sachlich.
    Ken und Art wechselten einen Blick. „Pass auf, Marty“, sagte Ken. „Sieh es mal so. Da ist ein großer Wald da draußen. Da könnte alles Mögliche passieren.“
    Art grinste höhnisch. „Wer weiß? Vielleicht erschießt ihr am Ende uns?“
    „Womit denn, zum Teufel?“, platzte Martin heraus. Für einen Moment verlor er die Beherrschung. „Damit vielleicht?“ Er streckte ihnen die Hände entgegen, Handflächen nach oben.
    Niemand antwortete. Wild blickte er von einem zum anderen. „Ich hab’s schon gesagt. Ihr seid verrückt. Alle. Geisteskrank. Hört mal, wir sind hier nicht in Vietnam oder sonst wo. Wir sind keine Gooks oder Nigger. Wir sind Weiße. Wie ihr. Ich arbeite in einer Bank. Ich bin ein anständiger Bürger. Ich bin verheiratet. Ich habe Kinder.“
    Ken startete seine Stoppuhr. „Eure Zeit läuft jetzt.“
    Aber Martin wollte nicht aufhören. „Verdammt noch mal, hört mir zu. Also gut, euer Kick ist die Menschenjagd. Aber das ist keine richtige Jagd. Jagd bedeutet, dass einer die Chance hat, abzuhauen oder sich zu wehren. Warum lasst ihr uns überhaupt gehen? Warum knallt ihr uns nicht gleich auf der Stelle ab?“
    „Wisst ihr, die Leute sind schon komisch“, sagte Greg. „Noch vor einer halben Stunde hatte er nichts anderes im Sinn, als von dieser Kette hier loszukommen. Nur frei sein war alles, was er wollte.“ Seine Stimme heuchelte gekränkte Verwirrung.
    Ken ignorierte ihn und antwortete Martin. „Du kannst natürlich hier bleiben, wenn du willst. Du kannst dir Kaffee kochen oder einen Drink nehmen und sitzen und warten. Aber ich glaube nicht, dass du das tun wirst. Oh, das hätte ich fast vergessen …“ Er zog einen Taschenkompass hervor. Westlich von hier, etwa zweieinhalb Meilen, gibt es die Überreste einer alten Eisenbahnstrecke. Nur eine Spur. Wenn ihr der Richtung Süden folgt, stoßt ihr auf die Route achtundzwanzig.“ Er ließ den Kompass über den Tisch zu Martin schlittern.
    Martin nahm ihn. „Du bist dir deiner Sache verfickt sicher, was?“, sagte er. „Ich werd’ dir mal was sagen, Großmaul, ich werde mich, wie ich hier stehe, so was von aus dem Staub machen, und dann darfst du dreimal raten, was das für euch be deutet.“
    Greg blickte zu Art. „Na, wie findest du denn das? Scheint ja, als hätten wir diesmal was richtig Lebendiges gefangen.“
    Art grinste. „Vielleicht hast du Recht.“ Er wandte sich an Martin. „Martin, du bist ein Mensch, ein Homo sapiens. Mit einem Gehirn, das als Waffe weitaus tödlicher sein kann als ein Gewehr. Wir haben uns genauso in Gefahr begeben wie du. Viel Glück. Möge der Beste

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